Rückschritt statt digitalem Fortschritt
Von Smaro Sideri · 3 Minuten Lesezeit
Die neuen gesetzlichen Regelungen zur Nachweisbarkeit der Arbeitsbedingungen sind wie aus der Zeit gefallen. Was Sie jetzt beachten müssen.
Über unsere Gast-Autorin
Smaro Sideri lebt in Esslingen und ist seit über 16 Jahren Anwältin, davon 3 Jahre in der Rechts-/Personalabteilung eines Einzelhandelskonzerns, mehrere Jahre beim Arbeitgeberverband und seit 4 Jahren freiberuflich als Fachanwältin für Arbeitsrecht tätig. Außerdem gibt sie regelmäßig für verschiedene Seminarinstitute Lehrgänge. Mehr erfahren: teilzeit-anspruch.de
Man wird den Eindruck nicht los, dass hier ein Gesetz auf den Weg gebracht wurde, das schon länger in der „Schublade“ lag und jetzt schnell mal beschlossen werden musste.
Weshalb? Weil die EU-Richtlinie (EU) 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union im Bereich des Zivilrechts bis zum 31.07.2022 umgesetzt werden musste. Wer nach Sinn und Zweck dieser Richtlinie fragt, findet diese Antwort:
„Die Arbeitsbedingungenrichtlinie verfolgt das Ziel, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, indem eine transparente und vorhersehbarere Beschäftigung gefördert und zugleich die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes gewährleistet wird.“
Um dieses Ziel zu erreichen, sollte u. a. das Nachweisgesetz erweitert werden.
Das bisherige Nachweisgesetz
Seit 1995 gelten schon die gesetzlichen Regelungen zum Nachweis der Arbeitsbedingungen, die vor allem ArbeitnehmerInnen den Nachweis der vereinbarten Vertragsbedingungen erleichtern sollen.
Es war bisher schon erforderlich, dass (bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen) spätestens einen Monat nach Beginn des Arbeitsverhältnisses die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niedergelegt werden, wie:
- Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses
- Arbeitsort
- Kurze Charakterisierung der Tätigkeit
- Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts
- Vereinbarte Arbeitszeit
- Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs
- Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses
- Hinweis auf geltende Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen
Es stand auch schon immer im Nachweisgesetz, dass der Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen in elektronischer Form ausgeschlossen ist (§ 2 NachwG: Schriftform des Nachweises).
Neu ist die Regelung zur Schriftform also nicht. An dieser Stelle muss aber auch erwähnt werden, dass es bis dato allerdings auch eine gelebte und geduldete Praxis war, Verträge in digitaler Form mit entsprechender digitaler Signatur abzuschließen. Theorie und Praxis gingen hier auseinander – zumal dieses Vorgehen auch bis jetzt nicht mit entsprechenden Sanktionen in Verbindung stand.
Mit Blick auf den 01.08.22 stellt sich nun die Frage, was konkret wir uns unter der nun geforderten Schriftform überhaupt vorstellen müssen:
Es müssen zwei Exemplare des Vertrags ausgedruckt und handschriftlich unterschrieben werden, so dass auf beiden Verträgen jeweils zwei Unterschriften von Arbeitgeber und Arbeitnehmenden enthalten sind!
Weshalb der Nachweis der Arbeitsbedingungen nicht auch digital möglich ist, bleibt unbeantwortet.
NEU: Bußgelder bei Nichteinhaltung der Nachweise
Ab 01.08.2022 sieht das Nachweisgesetz nun in § 4 Bußgeldvorschriften vor, wie folgt:
- (1) Ordnungswidrig handelt, wer:
- entgegen § 2 Absatz 1 Satz 1 eine in § 2 Absatz 1 Satz 2 genannte wesentliche Vertragsbedingung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig aushändigt,
- entgegen § 2 Absatz 2, auch in Verbindung mit Absatz 3, eine dort genannte Niederschrift nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig aushändigt oder
- entgegen § 3 Satz 1 eine Mitteilung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig macht.
- (2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu zweitausend Euro geahndet werden.
Diese Geldbuße ist pro Verstoß zu verstehen. Ob und wie eine solche Ordnungswidrigkeit zur Anzeige gebracht wird, bleibt abzuwarten.
Für Verträge, die vor dem 01.08.2022 abgeschlossen wurden, gelten diese Bußgeldvorschriften nicht! D. h., Arbeitsverträge, die bis dato in digitaler Form mit entsprechender Signatur geschlossen wurden, bleiben von der neuen Gesetzesänderung unberührt.
Weitere Neuerungen
Von den sonstigen Erweiterungen des Nachweisgesetzes, die ab 01.08.2022 gelten, sind die folgenden die wichtigsten, die im Arbeitsvertrag für Neueinstellungen aufgenommen werden müssen:
- die vereinbarte Arbeitszeit, vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und Voraussetzungen für Schichtänderungen;
- sofern vereinbart, die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen;
- das bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzuhaltende Verfahren, mindestens die Schriftformerfordernis und die Fristen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sowie die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage (§ 7 des Kündigungsschutzgesetzes ist auch bei einem nicht ordnungsgemäßen Nachweis der Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzuwenden);
- ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis auf die auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen sowie Regelungen paritätisch besetzter Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber festlegen.
Es muss nun also im Arbeitsvertrag auch die Angabe über die Frist zur Einreichung der Kündigungsschutzklage (3 Wochen ab Zugang der schriftlichen Kündigung) enthalten sein.
Bestehende Arbeitsverträge
Für bestehende Arbeitsverhältnisse gilt eine Erleichterung. Nach dem neuen § 5 des Nachweisgesetzes gilt:
„Hat das Arbeitsverhältnis bereits vor dem 1. August 2022 bestanden, so ist dem Arbeitnehmer auf sein Verlangen spätestens am siebten Tag nach Zugang der Aufforderung beim Arbeitgeber die Niederschrift mit den Angaben nach § 2 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 bis 10 auszuhändigen.“
Es ist also für bisher digital abgeschlossene Arbeitsverträge nicht erforderlich, dass die Arbeitgeber von sich aus allen Beschäftigten nachträglich schriftliche Verträge nachreichen, sondern nur dann, wenn die Beschäftigten diesen Nachweis verlangen.
Fazit
Auch wenn die gesetzlichen Neuerungen nicht an allen Stellen nachvollziehbar sind, ist es für Arbeitgeber wichtig zu wissen, welche Anpassungen erforderlich sind, um keine unnötigen Bußgelder zu riskieren. Für weiterführende Infos zur Anpassung der Arbeitsverträge auf die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen können Sie sich gerne per Mail direkt an Frau Sideri wenden.
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