Man sitzt auf die Uhr schauend auf einem Stuhl vor einem Raum

Time to Hire - wenn eine Kennzahl in die falsche Richtung führt

Mit dem KPI „Time to Hire” lässt sich die Performance im Recruiting beurteilen! Diese Annahme ist weit verbreitet. Ganz so einfach ist es aber nicht.

Ziele setzen, Ergebnisse kontrollieren und dann die richtigen Konsequenzen ziehen – sich kontinuierlich zu verbessern, gehört vermutlich bei den allermeisten erfolgreichen Unternehmen zum kleinen Management-Einmaleins. Ein wichtiges Hilfsmittel dafür sind Kennzahlen bzw. Key Performance Indicators. Denn dank ihnen werden Sachverhalte messbar. Im Recruiting fällt hierzu vielen als erstes die „Time to Hire“ ein. Die Kennzahl gibt an, wie viel Zeit bis zu einer Einstellung vergeht. Der Gedanke: Je schneller eine Stelle besetzt ist, desto besser. Doch ganz so eindeutig ist es in der Praxis nicht.
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Problem: Keine eindeutige Definition der „Time to Hire“

Die Schwierigkeiten beginnen schon mit der Definition des Indikators. Die meisten Quellen zielen auf den Zeitraum zwischen Anfang und Ende des Recruiting-Prozesses ab. Nur – womit geht die Suche nach einer Kandidatin oder einem Kandidaten genau los? Wenn die Stellenausschreibung von der HR-Abteilung veröffentlicht wird? Wenn die Vakanz entsteht (etwa durch eine Kündigung)? Sobald der Fachbereich den Bedarf formuliert hat? Oder zählt vor allem, wie die Bewerbenden den Prozess wahrnehmen, sodass die „Time to Hire“ erst mit Eingang der Bewerbungen zu laufen beginnt? Oder zählt sogar nur die Dauer für die später eingestellte Person?

Und wann ist die Besetzung der offenen Stelle abgeschlossen? Naheliegend ist die Unterzeichnung des Arbeitsvertrags, weil damit formal alles geregelt ist. Nachvollziehbar wäre aber auch der Moment, in dem sich der Fachbereich für eine Kandidatin oder einen Kandidaten entscheidet, um den Prozess der Vertragserstellung separat zu betrachten. Auch der erste Arbeitstag ist denkbar.

„Time to Contract“ und „Time to Fill“

Eben weil es keinen eindeutigen Start- und Endpunkt gibt, haben sich neben der „Time to Hire“ noch weitere KPIs etabliert. Die „Time to Contract“ bezieht sich sprachlich ziemlich klar auf die Vertragsunterzeichnung (wobei auch hier die Startpunkte unterschiedlich definiert werden können), die „Time to Fill“ nicht ganz so klar auf den ersten Arbeitstag (und umfasst meist den gesamten Prozess ab Bedarfsmeldung). Letztlich trägt diese Differenzierung aber nicht zu einem einheitlichen Verständnis bei. Die verschiedenen KPIs sorgen sogar eher für noch mehr Verwirrung.

Für Unternehmen ist es daher wenig zielführend, sich hinsichtlich der „Time to Hire“ mit anderen Unternehmen zu vergleichen oder sich an einem Benchmark zu orientieren. Es ist lediglich ein belastbarer Vergleich innerhalb der Organisation im Zeitverlauf möglich, wenn man sich für eine Definition entschieden hat.

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Recruiting-Kennzahlen liegen voll im Trend. Doch das meiste ist nur Statistik. Was wirklich zählt sind Daten, die relevante Schlussfolgerungen ermöglichen.

Ist schneller überhaupt BESSER?

Inwiefern solche internen Vergleiche nicht nur valide, sondern auch hilfreich sind, bleibt allerdings fraglich. Wird Recruiting dadurch wirklich besser? Klar, bei sehr langen Prozessen verliert man vielleicht den ein oder anderen Kandidaten an die Konkurrenz. Außerdem verbrauchen mehr Gespräche mehr interne Ressourcen. Aber wenn eine lange „Time to Hire“ nicht gut ist, sollte das umgekehrt eigentlich heißen, eine kürzere wäre in jedem Fall besser. Aber ist das so?

Ein Argument könnte sein, dass mit einer sinkenden „Time to Hire“ auch die Prozesskosten sinken. Doch kaum eine Kostenart hängt wirklich direkt mit der Dauer (im Sinne von „Durchlaufzeit“) des Recruiting-Prozesses zusammen, die Korrelation ist bestenfalls gering.

Heranziehen ließen sich sonst noch die durch die Vakanz entstehenden Opportunitätskosten, die von der Dauer abhängen. Egal ob aufgrund entgangener Gewinne durch die unbesetzte Stelle oder weil die übrigen Kolleginnen und Kollegen wegen der Mehrbelastung unzufrieden sind.

Beides fällt allerdings nur während der tatsächlichen Zeit der Vakanz an. Die Opportunitätskosten könnten daher einerseits durch vorausschauendes Handeln verringert werden, was grundsätzlich ja erstrebenswert ist. Andererseits könnte der gleiche Effekt auch dadurch erzielt werden, dass die oder der „Erstbeste“ genommen wird. Oder indem man sich für die am schnellsten verfügbare Person entscheidet. Solche Maßnahmen dürften aber, von total zufälligem Glück mal abgesehen, eher zu schlechteren Einstellungen führen. Mittel- bis langfristig wirkt sich die Qualität der Neueinstellung auf jeden Fall viel stärker auf den Erfolg aus, als ein paar Wochen unterbesetzt zu sein.

Eine Kennzahl, die ohne fixe Grenzen nicht zu hoch, aber auch nicht zu niedrig sein soll, ist auch nur Bauchgefühl im KPI-Kostüm.

Dominik Josten

Qualität schlägt Geschwindigkeit

Damit kommen wir zum entscheidenden Punkt: Wird eine Stelle sehr rasch besetzt, dafür aber nicht mit der besten Kandidatin oder dem besten Kandidaten, schmälert das den langfristigen Erfolg des Unternehmens und sorgt für schlechte Stimmung. Und auch wenn mehr Zeit nicht automatisch zu höherer Qualität führt – die Wahrscheinlichkeit, dass sich sehr gute Kandidatinnen und Kandidaten bewerben, nimmt zum Beispiel mit besseren Stellenanzeigen und deren breiteren Veröffentlichung zu. Auch eine sorgfältigere Auswahl mehrerer Kandidatinnen und Kandidaten zum Vergleich, Rücksichtnahme auf deren Terminwünsche und vieles mehr hilft dabei, die Beste oder den Besten zu finden.

Das heißt nicht, dass Effizienz und möglichst schnelle Prozesse falsch sind. Aber mit Augenmaß. Kandidaten warten zu lassen, weil das Hiring Team keine Zeit findet, sich abzustimmen, oder die Vertragserstellung 2 Wochen dauert, sollte vermieden werden. Sie um Geduld zu bitten, weil man noch weiteren aussichtsreichen Kandidaten eine Chance gibt, kann langfristig doch oft die bessere Entscheidung sein. Prominenter LinkedIn-Stories, die gegenteiliges suggerieren, zum Trotz. Einzelfälle machen halt noch keine Regel.

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Fazit: Kurze „Time to Hire“ nicht um jeden Preis

Läuft es ungünstig, kann die Verbesserung der „Time to Hire“-Kennzahl zu einer Verschlechterung des Recruiting-Prozesses führen. Um das zu vermeiden, müsste die Kennzahl eigentlich in Relation zur Qualität der Einstellung gesetzt werden. Die lässt sich aber erst nach einiger Zeit fundiert beurteilen. Hinzu kommt, dass der Aufwand für das Sammeln von Daten und das Generieren von Kennzahlen alles andere als gering ist. In Summe spricht all das eher gegen den Einsatz der „Time to Hire“.

Das heißt allerdings nicht, dass der Recruiting-Prozess nicht kontinuierlich verbessert werden sollte. Und auch nicht, dass sich eine Optimierung der Geschwindigkeit nicht lohnen kann. Denn wichtig ist ja auch, wie es den „Kundinnen“ und „Kunden“ mit dem Prozess geht, also den Bewerberinnen und Bewerbern. Im Sinne einer guten Candidate Experience KANN Geschwindigkeit eine Rolle spielen! Niemand wartet heute mehr wochenlang auf Reaktionen. Und doch können Dinge wie Transparenz, Verlässlichkeit, Freundlichkeit usw. oft noch mehr Unterschied machen. Daher sollte vor allem immer beurteilt werden, inwieweit Veränderungen zu einer optimalen Einstellung beitragen. Die Zeit kann in diesem Zusammenhang natürlich als einer von mehreren Einflussfaktoren betrachtet werden. Aber nur, wenn wichtigere Kriterien nicht darunter leiden.

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