Frau mit Panikattacke auf der Straße

Produktivitätskiller Angststörung – so beugen Sie vor

Psychische Probleme sind der zweithäufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit. Immer häufiger dabei: Angststörungen. So beugen Sie vor.

Schlechte Noten für den Wirtschaftsstandort Deutschland: Mit gerade einmal „noch befriedigend“ (3,4) bewerten 180 Volkswirtschaftler durchschnittlich die hiesigen Rahmenbedingungen.[1] Für ein NC-Fach reicht das nicht. Bürokratie, Regulierungen und weitere Hindernisse: Es ist ordentlich Druck auf dem Kessel. In den meisten Unternehmen heißt das leider, dass dieser Druck unweigerlich bei den Mitarbeitenden ankommt. Irgendwer muss all die Herausforderungen schließlich meistern. Doch damit landen sie unweigerlich in einem Teufelskreis. Druck senkt die Motivation und erzeugt schlimmstenfalls Angst, Angst wirkt sich auf die Produktivität aus. Und was macht das Management? Es baut noch mehr Druck auf. Wenn Sie diesen Beitrag gelesen haben, wissen Sie, wie es besser geht.

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Angst am Arbeitsplatz – ist das wirklich so ein Ding?

Leider ist die mentale Gesundheit Ihrer Mitarbeitenden ein ebenso hohes wie fragiles Gut. Psychische Störungen zählen mit zu den häufigsten Gründen für Arbeitsunfähigkeit (siehe Abbildung 1). Und auch nahezu jede zweite Frührente ist auf psychische Gründe zurückzuführen. Dabei können seelische Erkrankungen durch die Belastung am Arbeitsplatz verstärkt und sogar ausgelöst werden, wenn Anforderungen und Leistungsfähigkeit nicht zusammenpassen. Das ist laut NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales beispielsweise der Fall, wenn die Arbeitsmenge zu groß ist, Aufgaben und Qualifikation auseinanderklaffen oder die Unterstützung von Vorgesetzten und Kolleginnen fehlt.[2] „Nachdem immer wieder belegt wird, dass die psychische Belastung am Arbeitsplatz zu krankmachenden Beanspruchungsfolgen führen kann, ist das Thema im Arbeitsschutz nicht mehr wegzudenken, denn die Folgen für die Beschäftigten, aber auch für die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind immens.“[2] Seit 2013 ist es im ArbSchG verankert.

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Abbildung 1 https://gesund.bund.de/psychische-gesundheit-am-arbeitsplatz#einleitung

Wenn Ängste überhandnehmen: generalisierte Angststörung

Viele Arbeitnehmer beginnen ihren Arbeitstag mit einem unguten Gefühl oder finden nachts keine Ruhe, weil sie einen sich verstärkenden Druck auf sich lasten fühlen. „Arbeitsintensivierung und mangelnde Handlungs- und Entscheidungsspielräume sind für viele Beschäftigte eine Belastung. Dazu gehört unter anderem, bis an die Grenzen der Leistungsfähigkeit zu arbeiten oder bei Planungen der betrieblichen Zukunft und relevanten Informationen außen vor zu sein. Durch andauernde Arbeitsbelastungen steigt das Risiko, an einer psychischen Störung zu erkranken, um 50 Prozent. Unter den psychischen Erkrankungen sind Depressionen und Angststörungen die häufigsten Diagnosen.“

Auch der stärkste Mann schaut einmal unters Bett.

Erich Kästner zugeschrieben

Erich Kästner wird das Zitat zugeschrieben: „Auch der stärkste Mann schaut einmal unters Bett.“ Will heißen: Angst gehört zum Leben. Wegen ihrer Schutzfunktion ist sie sogar lebenswichtig. Aber wie grenzen wir ein gesundes Bewusstsein für Gefahren von einer generalisierten Angststörung (GAS) ab? Kritisch wird es, wenn Menschen sich in ständiger Alarmbereitschaft befinden. Daraus kann eine vermeintlich unentrinnbare Spirale entstehen: „Die Kolleginnen hören immer auf zu reden, wenn ich in den Kopierraum komme. Sicher, weil sie über mich reden. Ich stelle mich so ungeschickt beim Kopieren an. Hoffentlich muss ich heute nicht so viel ausdrucken und kopieren. Da kommt die Chefin. Bestimmt stellt sie mich zur Rede, denn ich habe gestern nicht alle Vorgänge geschafft. Komisch, dass ich noch keine Abmahnung bekommen habe. So fahrig, wie ich bin, habe ich bei den Abschlüssen bestimmt etwas übersehen. Bald werden alle merken, dass ich nichts auf die Kette kriege. Aber wie soll ich das Auto abbezahlen, wenn ich gekündigt werde? Ohne Auto hier eine neue Stelle finden? Das kann ich vergessen.“ Verschiedene körperliche Symptome können mit der Angststörung einhergehen – von Benommenheit und Nervosität über Zittern und Schwitzen bis zu Muskelverspannungen, Herzklopfen und Magenbeschwerden. Auch Konzentrations- und Schlafstörungen gehören zu den unliebsamen Begleitern. Permanent schüttet die Nebenniere Adrenalin aus, was den Körper in Dauerstress versetzt. „Die Diagnose ‚generalisierte Angststörung‘ wird gestellt, wenn die übermäßigen Ängste

  • an den meisten Tagen bestehen,
  • mindestens 6 Monate andauern,
  • unkontrollierbar werden,
  • so belastend sind, dass sie den Alltag beeinträchtigen.“

Außerdem müssen mindestens drei der oben genannten körperlichen Symptome hinzukommen.[3]

Keine Angst: An diesen Stellschrauben können Sie drehen

Am Arbeitsplatz lauern diverse Risikofaktoren für Angsterkrankungen. Setzen Sie bei diesen Faktoren an, um das Wohlbefinden Ihrer Mitarbeitenden zu steigern und Erkrankungen vorzubeugen:
  • Eine zu hohe Arbeitsintensität ist Risikofaktor Nummer eins. Gestalten Sie daher das Arbeitspensum angemessen und realistisch. Tauschen Sie sich dazu mit den Mitarbeitenden aus, um die es jeweils geht. Nur so können Sie das richtige Maß finden, da Menschen unterschiedlich belastbar sind. Natürlich haben Sie auch als Unternehmen Erfahrungswerte und Vorstellungen, die etwa im Recruiting auch die Auswahl beeinflussen. Sollte ein vorhandener Mitarbeiter aus der Produktion oder die Servicekraft nur ein eher niedriges Arbeitspensum bewältigen können, kann es ratsam sein, es entsprechend anzupassen. Oder, auch das gehört zur Wahrheit, sich im Zweifel nach Ersatz umzuschauen. Zu versuchen mit Druck dafür zu sorgen, dass das erwartete Niveau erreicht wird, wird eher nicht gelingen, und die Folgen einer Erkrankung dürften im Zweifelsfall dann teurer zu Buche schlagen.
  • Enge Handlungs- und Entscheidungsspielräume können schnell Ohnmachtsgefühle auslösen und Mitarbeitenden den Eindruck vermitteln, dem Unternehmen ausgeliefert zu sein, ohne die eigenen Vorstellungen, Bedürfnisse und Bedenken einbringen zu können. Wenn Sie mehr Gestaltungsspielraum bieten, fühlen sich die Kolleginnen und Kollegen sicherer – und entspannen sich. Allerdings gilt es, das richtige Maß zu finden. Denn den umgekehrten Effekt gibt es ebenfalls. Fehlt den Mitarbeitenden eine Orientierung oder fühlen sie sich gar alleingelassen mit den Herausforderungen ihres Arbeitsalltags oder zu treffenden Entscheidungen, sind Stress und das Risiko, Ängste zu entwickeln, ebenfalls vorprogrammiert.
  • Viel Spielraum bietet Ihnen die Arbeitszeitgestaltung. Entwickeln Sie Modelle, die Ihrer Belegschaft eine gute Work-Life-Balance ermöglichen. Je zeitlich flexibler gearbeitet werden kann, desto eher sind die Mitarbeitenden in der Lage, den Alltag nach ihren Anforderungen und Präferenzen zu gestalten. Die einen starten gerne mit einem gemütlichen Frühstück in den Tag oder gehen noch eine Runde laufen, bevor sie sich auf den Weg ins Büro machen. Die anderen fangen gerne früh an, um den späteren Nachmittag zur freien Verfügung zu haben. Kolleginnen und Kollegen mit Kindern oder pflegende Angehörige tragen ein höheres Risiko, infolge ihrer Belastung Krankheiten wie Angststörungen zu entwickeln. Es empfiehlt sich, ihnen zeitlich lieber drei als nur zwei Schritte entgegenzukommen.
  • Das Betriebsklima und die Unternehmenskultur müssen stimmen, damit sich Menschen im Unternehmen wohlfühlen. Achten Sie daher auf ein wertschätzendes Miteinander, auch mit den Führungskräften. Gemeinschaftsgefühl und Kollegialität stärken die Resilienz, und in einem empathischen Umfeld fällt es leichter, Konflikte anzusprechen und zu lösen. Auch vermeintliche Nebensachen wie die Gestaltung der Räume und des Arbeitsplatzes sollten Sie nicht unterschätzen: In einer ansprechenden Arbeitsumgebung entstehen gute Beziehungen – und gute Arbeit. Sitzgelegenheiten zum zwanglosen Austausch, freundliche Büros und die Möglichkeit, die Pause im Außengelände zu verbringen – schaffen Sie ein inspirierendes Ambiente.
  • Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz belasten sehr. Insofern trägt auch eine sichere berufliche Zukunft zur psychischen Gesundheit bei. Dazu gehören zum einen, sofern möglich, Arbeitsplatzgarantien, aber auch eine positive Kommunikation kann schon einen Unterschied machen: Der Daueralarm, dieses oder jenes müsste unbedingt gelingen, sonst wäre die Zukunft der Firma in Gefahr, kann durchaus das Gegenteil des angestrebten Motivationseffekts erzeugen. Zum anderen helfen aber auch auf der individuellen Ebene klare berufliche Perspektiven mit Weiterbildungsmöglichkeiten und einer individuellen Karriereplanung. Wer sich im Ganzen gesehen und mit seinem Bedürfnis nach Sicherheit wahrgenommen fühlt, steckt auch stressige Phasen besser weg.

Angststörung bedeutet nicht „lebenslänglich“

Da es viele Ursachen für eine Angststörung geben kann und auch die Veranlagung dabei eine Rolle spielt, werden Sie es auch mit noch so guter Prävention immer wieder einmal mit angsterkrankten Teammitgliedern zu tun haben können. Zwar ist die Erkrankung langwierig, aber in der Regel gut behandelbar. „In einer Studie hatte nach zwei Jahren etwa jeder vierte Betroffene die Angststörung überwunden. Langfristig schaffen es jedoch viele Menschen, ihre Ängste zu überwinden. Mit dem Alter geht sie ohnehin oft zurück.“[3] Ist eine Person länger krank, erlebt sie in der Regel auch immer wieder Phasen mit schwach ausgeprägten Symptomen. Erfolgreich therapiert, bereichern Mitarbeitende mit einer Angststörung die Belegschaft. Wie sagte doch Khalil Gibran? „Beherzt ist nicht, wer keine Angst kennt, beherzt ist, wer die Angst kennt und sie überwindet.“