Die dunkle Triade - Bad Leadership
Von Bianca Lampart · 5 Minuten Lesezeit
Was sind Kennzeichen eines Bad Leaderships und wie können Unternehmen schlechter Führung begegnen? Im Interview mit Prof. Dr. Jürgen Weibler.
Bianca Lampart: In Ihrem Buch „Bad Leadership: Von Narzissten & Egomanen, Vermessenen & Verführten“ nehmen Sie mit Ihrem Co-Autor Thomas Kuhn schlechte Führung in Form von Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie, kurz die „Dunkle Triade“, unter die Lupe und zeigen aktuelle Erkenntnisse der Führungsforschung auf. Lassen Sie uns tiefer in die Thematik einsteigen.
Univ.-Prof. Dr. Jürgen Weibler ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Personalführung und Organisation an der FernUniversität in Hagen. Auf www.leadership-insiders.de schreibt er regelmäßig über grundsätzliche wie innovative Führungsthemen.
Aktueller Stand der Führungsforschung zu Bad Leadership
Bianca Lampart: In der Führungsforschung galt „Bad Leadership“ lange Zeit eher als Un-Thema. Hat sich das aus Ihrer Sicht geändert?
Prof. Dr. Weibler: Ja und nein! Geändert hat sich zweifellos, dass Bad Leadership in einer Fülle von Spielarten – beispielsweise Abusive, Toxic, Destructive, Exploitative Leadership – zunehmend thematisiert und beforscht wird. Insofern können wir hier einen regelrechten Boom konstatieren. Grund dafür dürfte letztlich die schiere Evidenz des Phänomens sein. Man denke hier an die diversen Umfragen unter Beschäftigten, die immer wieder belegen, dass unethische Führung weit verbreitet ist und die direkte Führungskraft oftmals als „Kündigungsgrund Nummer 1“ gilt. Sobald wir hierunter auch noch geschlechterbezogene Diskriminierungserfahrungen subsumieren, weitet sich das Feld noch einmal.
Was sich hingegen nicht geändert hat, ist, dass eine Führung, die unethisch, zum Beispiel ausbeuterisch agiert, fast immer gleichgesetzt wird mit einer Führung, die zum Scheitern verurteilt ist. Damit wird einerseits suggeriert: „Das Problem löst sich letztlich von allein!“ Und andererseits verschließt man damit die Augen vor der Möglichkeit, dass unethische Führung dauerhaft erfolgreich sein könnte, wenn nicht für die Geführten, so doch wenigstens für die Führenden. Die Vorstellung einer solchen Win-lose-Konstellation in einer Führungsbeziehung ist in der Fahrt aufnehmenden Forschung bis heute absolut unpopulär.
Die dunkle Triade als Ursache unmoralischer Führung
Bianca Lampart: In Ihrem Buch behandeln Sie explizit die „Dunkle Triade der Persönlichkeit“. Was ist darunter in aller Kürze zu verstehen?
Prof. Dr. Weibler: Dabei handelt es sich um drei negative, aber in der hier üblichen Ausprägung nicht unbedingt krankhafte Persönlichkeitsprägungen: den Narzissmus, den Machiavellismus und die Psychopathie.
Stichwortartig gesprochen könnte man sagen, dass Narzissten aufgrund tief verankerter Minderwertigkeitsgefühle stets und extrem nach Anerkennung und Bewunderung streben und im Zuge dessen zu Arroganz und Selbstherrlichkeit neigen. Erfolge von anderen neiden sie hingegen. Gegenspieler, aber auch unfähige oder illoyale Gefolgsleute nehmen sie als Feinde wahr, die es zu besiegen, wenn nicht zu vernichten gilt.
Der Machiavellist strebt vor allem nach extrinsischen Erfolgsausweisen, sprich: Geld, Status, Macht. Und zur Erreichung dieser Ziele setzt er nicht auf Moral, sondern auf taktische Klugheit – was bedeutet: „moralisch“ sein, solange es nützlich ist, rücksichtslos sein, sobald es erforderlich ist.
Psychopathen schließlich werden mit dem Titel eines Buches von Robert Hare zum Thema mit einem einzigen Begriff eigentlich schon gut charakterisiert: Gewissenlos! Andere Stichworte lauten: Unberechenbarkeit, Skrupellosigkeit, Emotionslosigkeit, Treulosigkeit, Verantwortungslosigkeit, Furchtlosigkeit, nicht zuletzt: kriminelle Energie.
Wichtig ist hier aber auch zu vermerken: Begrifflich lassen sich diese Persönlichkeitsprägungen durchaus in einigen kurzen Worten beschreiben. Die Analyse einer konkreten Person im Berufsalltag, eben auch einer Führungskraft, dahingehend, ob sie machiavellistisch, narzisstisch oder gar psychopathisch geprägt ist, sollten wir allerdings beim Wunsch nach einer verbindlichen Bestimmung denen überlassen, die hierfür ausgebildet sind: Psycholog:innen und Psychiater:innen.
Die steilen Führungskarrieren dunkler „Triadisten“
Bianca Lampart: Sie beschreiben, dass es Führungskräften gelingt, in höchste Führungspositionen aufzusteigen, obwohl sich alle drei Persönlichkeitsprägungen durch einen antisozialen Kern auszeichnen. Warum werden diese Führungskräfte nicht aufgehalten?
Prof. Dr. Weibler: Sie werden nicht aufgehalten, weil sie genauso sind, oder besser: so zu sein scheinen, wie wir uns gute Führungskräfte im Ideal vorstellen. Sie begeistern andere durch eine charismatische Ausstrahlung, sie sind – wenn auch nur vordergründig und solange es ihnen nützlich erscheint – außergewöhnlich charmant und verstehen es, andere für sich einzunehmen. Sie betreiben ein exzellentes sogenanntes Impression Management.
Eine Studie zweier kanadischer Kollegen hat in diesem Zusammenhang kürzlich einmal herausgearbeitet, dass zahlreiche Charaktereigenschaften von Psychopathen nahezu synonym sind mit hochgeschätzten Charaktereigenschaften von Unternehmensführern. So sind Psychopathen beispielsweise frei von Ängsten und Schuldgefühlen und versprechen gerne das Blaue vom Himmel. Von Unternehmensführern erwartet man, dass sie Mut zeigen, mit harten Entscheidungen leben können und Visionen haben.
Man sieht, die Attribute liegen jeweils ziemlich eng beisammen. In letzter Konsequenz müsste man deshalb fast sagen: Wenn wir die „dunklen Triadisten“ aufhalten wollen, dann müssen wir als erstes unsere Vorstellung von einer idealen Führungskraft kritisch überdenken und zumindest in Teilen wohl auch ändern. D. h., vor allem müssen wir uns von einem heroischen Führungsbild lösen und verstehen, dass eine gelingende Führung ein Prozess ist, an dem zwei Seiten beteiligt sind, die gemeinsam agieren müssen, um erfolgreich zu sein, nämlich Führende und Geführte. Diese Sicht teilt die Verantwortung von vornherein für das Geschehen in Organisationen auf.
Organisationsstrukturen als Triebfeder schlechter Führung
Bianca Lampart: Ist schlechte Führung also nicht nur auf das Schlechte in Führungskräften zurückzuführen? Gibt es weitere Faktoren, die schlechte Führung begünstigen?
Prof. Dr. Weibler: Wir neigen dazu, unethische Führungspraktiken zu personalisieren, deren Ursachen also vor allem in der Unmoral bestimmter Führungskräfte zu verorten. Dabei übersehen wir, dass schlechte Führung immer auch situativ begründet sein kann, sie also auch organisational erklärbar ist. Bad Leadership ist somit nicht immer nur einem „Bad Leader“ zuzuschreiben, sondern kann auch aus einem „Bad Barrel“ resultieren, also einem „schlechten Fass“ geschuldet sein.
Der Begriff des Bad Barrels ist in der wissenschaftlichen Debatte zwischenzeitlich weit verbreitet und meint, dass organisationale Strukturen und Kulturen oftmals einem fauligen und modrigen Fass gleichkommen, in dem im Grunde jeder, also auch der moralisch beste „Apfel“, in kurzer Zeit schlecht werden muss. Als Befreiung von eigener Verantwortung ist dies aber nicht zu lesen.
Als Stichworte aus der Bad-Barrel-Debatte seien hier nur genannt: ein überbordendes Shareholder-Value-Denken, eine alles beherrschende Profit-at-all-Costs-Kultur, ein übersteigerter interner Wettbewerb, ein überzogenes Pay for Performance oder auch ein überzogenes Management by Objectives. Das zeigt, verbreitete Management-Konzepte können durchaus zum Trigger dunkler Führung in Organisationen werden.
It takes two – wie Bad Followership ein Bad Leadership unterstützt
Bianca Lampart: Sie sprechen davon, dass ein Bad Leadership fast immer auch auf ein Bad Followership verweist. Was genau meinen Sie damit?
Prof. Dr. Weibler: Mit diesem Begriff kommt gewissermaßen die dritte Bestimmungsgröße eines Bad Leadership ins Spiel. Soll heißen: Schlechte Führung ist abschließend nicht nur durch Bad Leaders und Bad Barrels umfassend zu erklären, sondern zudem auch durch Bad Followers.
Hierbei werden unterschiedliche Mitarbeitertypen unterschieden, beispielsweise die sogenannten „Gehorsamen“, die jeder Autorität blindlings folgen, also auch dann, wenn diese erkennbar unmoralisch handelt, oder die sogenannten „Kalkulierenden“, die den Bad Leader aktiv unterstützen, weil sie sich persönliche Vorteile hiervon versprechen.
Dieser Forschungsbereich steckt, verglichen etwa mit der Beforschung der „dunklen Triade“, allerdings empirisch noch in den Kinderschuhen. Gemeint ist aber, dass schlechte Führungskräfte auch deshalb agieren können, weil Mitarbeitende sie lassen, ihnen gelegentlich auch helfen. Das Verschweigen bzw. die Nicht-Weitergabe von Wissen über Täter an die nächsthöhere Führungsebene oder die ausbleibende Solidarisierung mit dem Opfer und die damit verbundene aktive Zurückweisung des unethischen Verhaltens gehören beispielsweise dazu. Zivilcourage ist eine Haltung, die eben auch auf der Arbeit ihren Platz hat.
Bad Leadership und die Verantwortung von HR und Unternehmen
Bianca Lampart: In Unternehmen wird ja oft dem Personalmanagement die Aufgabe zugewiesen, sich um das Thema „schlechte Führung“ zu kümmern. Aus Sicht der Wissenschaft: Wie kann HR unterstützen, destruktive Führung zu verhindern?
Prof. Dr. Weibler: Wie so oft bei einem spezifischen Problem, werden hier zumeist einfach die zentralen Funktionen des Personalwesens gelistet und jeder Funktion das zugeschrieben, was sie zur Lösung des Problems beitragen könnte.
Das beginnt dann beim Recruiting, inklusive etwaiger Eignungsdiagnostik, wo es gilt, „dunkle Triadisten“ zu identifizieren und von der Organisation fernzuhalten, bis hin zur Personalfreisetzung, wo jene „dunklen Triadisten“, die es dennoch in das Unternehmen geschafft haben, möglichst zügig vor die Tür gesetzt werden sollen.
Am wichtigsten scheint mir aber Vorkehrungen zu schaffen, rechtzeitig Informationen darüber zu erhalten. Nützt natürlich nichts, wenn innerhalb der Leitungsebene des HR-Bereichs Verfehlungen passieren.
Bianca Lampart: Damit wären wir also in den Spitzen der Hierarchie angelangt, oder?
Prof. Dr. Weibler: Genau. Das könnte man nun weitertreiben. Was, wenn der CEO das Problem ist? Soll das Personalmanagement ihn dann zu einer Führungskräfteentwicklungsmaßnahme vergattern oder ihn wegen Narzissmus freisetzen? Damit sind wir plötzlich bei der Verantwortung von Aufsichtsgremien angelangt, welche dort am besten initiativ wahrzunehmen wäre. Versagen auch diese oder tragen gar selbst dazu bei, bleibt für den Einzelnen nur der Ausstieg.
Die helle Triade als Pfeiler ethischer Führung
Bianca Lampart: Was genau ist die „helle Triade“ und welchen Beitrag kann sie in puncto „guter Führung“ leisten?
Prof. Dr. Weibler: Damit sind wir gewissermaßen beim Gegenteil der „dunklen Triadisten“ – bei Führungskräften, die einen klaren moralischen Kompass besitzen und sich in ihrem Handeln stets an diesem ausrichten.
In der Debatte über Führungsethik werden solche „hellen“ Führungskräfte vor allem mittels tugendethischer Ansätze zu bestimmen versucht, sei es durch die klassischen Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Mut und Mäßigung, sei es durch die moderne und überaus populäre Tugend der Integrität – darauf gehe ich in der gerade erschienenen vierten Auflage der „Personalführung“ besonders ein.
Aber auch mit Blick auf die damit fokussierte ethische Führung gilt das, was wir mit Blick auf die unethische Führung bereits festgestellt haben: Der „Moral Leader“ allein vermag es nicht zu richten! Es braucht zusätzlich auch ein Moral Followership wie nicht zuletzt auch moralisch ausgerichtete Strukturen und Kulturen. Haltung, Kommunikation und Konsequenz müssen sich überall stringent durchziehen.
Bianca Lampart: Lieber Prof. Dr. Weibler, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Hören und lesen Sie mehr zum Thema
Teilen