Junge Frau am Smartphone

Gen Z: Gar nicht so anders

Viele Unternehmen und Medien machen eine Menge Wirbel um die Gen Z. Dabei ist die weder so homogen, noch so besonders, wie es oft behauptet wird. 

 

Ich bestelle fast alles im Internet, benötige kein Auto und achte auf Umweltschutz. Ich habe keine Lust, an etwas festzuhalten, worin ich keinen Sinn sehe – nur weil man das schon immer so gemacht hat. Mir ist wichtig, mein Leben frei gestalten zu können und nicht nur für die Arbeit zu leben. Und der Job, den ich mache, möchte ich gerne und mit Freude machen, nicht nur, weil er meinen Lebensunterhalt finanziert. Aber dennoch gehören Erfolg im Beruf und materieller Wohlstand zu meinen Zielen. All das macht mich zu einem "typischen Vertreter" der Generation Z – also zu denjenigen Frauen und Männern, die ab 1995 geboren sind.  Tatsächlich bin ich aber eine ganze Ecke älter. Was ist da los?

Mythos Generation Z

Wenn wir als HR-Verantwortliche durch die Social-Media-Plattformen scrollen oder redaktionelle Medien verfolgen, kommen wir schnell zu einer alarmierenden Überzeugung: Die Generation Z tickt so ganz anders als alle Generationen vor ihr. Gen-Z-Menschen für das eigene Unternehmen zu gewinnen und sie dort zu halten, ist eine Employer-Branding-Mammutaufgabe – die eigentlich nur mit der Hilfe einer jungen Insiderin oder eines jungen Insiders zu meistern ist. Die oder der uns erzählt, dass wir eigentlich alles ändern müssen, denn so wie diese war noch keine Generation zuvor.

Die Annahme ist aus meiner Sicht ziemlicher Unsinn. Übrigens genauso wie die Vorstellung, Vertreterinnen und Vertreter der Generation Z würden vor allem an ihre Freizeit denken und seien maximal bereit, vier Tage pro Woche zu arbeiten.

Keine empirische Basis für Generationenkonzept

Tatsächlich ist es grundsätzlich so eine Sache, Generationen bestimmte Einstellungen und Verhaltensweisen zuzuschreiben, die sie eindeutig von allen anderen Generationen unterscheiden. Das Konzept ist zwar beliebt und weit verbreitet. Vermutlich deshalb, weil plakative Beschreibungen von Alterskohorten einfach zu erfassen sind, Orientierung bieten und sich gut vermarkten lassen. Eine empirische Basis haben solche Zuschreibungen aber nicht. Im Gegenteil. Wirklich verwunderlich ist das eigentlich auch nicht, schließlich ist schwer nachvollziehbar, wieso Menschen völlig unterschiedlicher Herkünfte, Hintergründe, Bildungs- und Lebensumstände nur aufgrund ihres Geburtsjahres eine gemeinsame Weltsicht teilen sollten.

Nachweisen lassen sich vor allem die Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Generationen. So zeigte der Marburger Soziologe Dr. Martin Schröder in seinem 2018 veröffentlichten Artikel „Der Generationenmythos“ [1], dass 18- bis 25-Jährige, die zwischen 1966 und 1991 geboren wurden, zu wesentlichen Themen mehr oder weniger die gleichen Einstellungen haben. Beispielsweise finden es zwischen 85 und 95 % jedes Geburtsjahrgangs wichtig oder sehr wichtig, sich selbst zu verwirklichen. Für zwischen 88 Prozent und 95 % ist Erfolg im Beruf wichtig oder sehr wichtig. Die Auswertung basiert auf Zahlen des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), für das seit 1984 jährlich mehrere tausend Menschen befragt werden. Es sieht also eher so aus, als ob junge Menschen einfach ziemlich konstante Wünsche haben.

Inwieweit sich Generationen hinsichtlich ihrer Einstellungen zur Arbeit unterscheiden, was für uns als Personaler ja am spannendsten ist, haben sich vor über zehn Jahren auch David P. Costanza, Professor für Psychologie und Organisationswissenschaften an der George Washington University, und seine Kolleginnen und Kollegen angeschaut. Die Ergebnisse, die 2012 im Artikel „Generational differences in work-related attitudes: a meta-analysis“ [2] veröffentlicht wurden, sind eindeutig: Signifikante Unterschiede zwischen den Generationen konnten nicht festgestellt werden. Das gelang auch 2013 den beiden Professoren Torsten Biemann und Heiko Weckmüller nicht. Woran sie mit dem pointierten Titel ihres Textes auch keinen Zweifel ließen: „Generation Y: Viel Lärm um fast nichts“ [3]. Und auch Emma Parry von der Cranfield School of Management und Peter Urwin von der Westminster University Business School kamen in ihrem 2021 erschienenen Artikel [4] zu dem Schluss, dass die Orientierung am Geburtsjahrgang für HR nicht zielführend ist.

Falsche Zuschreibungen, wirkungslose HR

Die Daten stellen also nicht nur das Generationenkonzept grundsätzlich in Frage. Sondern auch, dass inhaltliche Aussagen über die "Generation Z" genannte Gruppe, nach der sie eine große Ausnahme sein soll, nicht zu halten sind. Mehr noch: Viele der Zuschreibungen, die sowohl Gen-Z-Insiderinnen und -Insider (jedenfalls dem eigenen Selbstverständnis nach) als auch Meinungsführerinnen und Meinungsführer der Boomer-Generation (Geburtsjahrgänge 1946-64) behaupten, sind schlicht falsch. Etwa in Bezug auf das vermeintlich unbedingte Streben nach einem Purpose oder die mangelnde Leistungsbereitschaft. 

Widerlegen lässt sich das zum beispielsweise mit einer Studie, für die der Automobilzulieferer Continental etwa 3.000 Menschen in Deutschland zwischen 16 und 67 Jahren befragt hat [5]: Nur 10 Prozent der 16- bi 24-Jährigen wollen mit ihrem Job einen gesellschaftlichen Beitrag leisten, 17 Prozent geht es um ihre Selbstverwirklichung. Die deutliche Mehrheit hat viel simplere Anliegen: 14 Prozent der Befragten aus dieser Altersgruppe streben mit ihrem Job eine Karriere an und 56 Prozent möchten sich schlicht das Leben finanzieren. Bei den 25- bis 57-Jährigen sieht es sehr ähnlich aus - 9 Prozent von ihnen finden den gesellschaftlichen Beitrag ihres Jobs wichtig, 17 Prozent wollen sich selbst verwirklichen. Und auch bei den 58- bis 67-Jährigen geht es 9 Prozent um den gesellschaftlichen Beitrag, allerdings haben nur 10 Prozent die Absicht, sich selbst zu verwirklichen. In der Phase des Lebens ist das auch kein Wunder. 

Für die Continental-Studie wurde auch danach gefragt, ob den Teilnehmenden die Arbeit im Leben wichtig ist. Das bejahten 77 Prozent der 16- bis 24-Jährigen, 80 Prozent der 25- bis 57-Jährigen und 80 Prozent der 58- bis 67-Jährigen. Unterschiede gibt es also auch hier so gut wie nicht. Ergänzend dazu lohnt sich auch ein Blick in die Trendstudie "Jugend in Deutschland 2023" [6]. Die circa 3.000 Teilnehmenden sollten unter anderem beantworten, wie sie sich verhalten würden, wenn sie so viel Geld erbeten, dass sie nicht mehr arbeiten müssten. Von den 14- bis 29-Jährigen würden 62 Prozent dennoch weiterhin arbeiten, bei den 30- bis 49-Jährigen sind es 46 Prozent, bei den 50- bis 69-Jährigen 55 Prozent. Eine mangelnde Leistungsbereitschaft der Generation Z lässt sich daraus nun wirklich nicht ableiten.

Das ganze lässt aus HR-Sicht nur einen Schluss zu: Ganze Recruiting-, Bindungs- und Weiterentwicklungsstrategien an derartigen Annahmen auszurichten führt in eine komplett falsche Richtung.

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Lebensphase und Beschaffenheit der Welt

Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass Unternehmen und vor allem Personalabteilungen nichts ändern müssten und so weitermachen könnten wie bislang. Statt sich aber einfach an der pauschalen Charakterisierung einer Generation zu orientieren, sollten sie eine differenziertere Perspektive einnehmen. Zwei Dimensionen sind dabei relevant: die Lebensphase, in der sich die (potenziellen) Mitarbeitenden befinden, und die aktuelle Beschaffenheit der Welt.

Für 20-Jährige sind wegen ihres Alters andere Aspekte wichtig als für 40- oder 60-Jährige. 20-Jährige sind beispielsweise damit beschäftigt, sich ihr eigenes Leben aufzubauen, während der Fokus von 40-Jährigen auf ihren Kindern liegt. Und 60-Jährige haben den Ruhestand im Blick. Das ist heute so – das war aber nie groß anders.

Außerdem leben Menschen heute in einer anderen Welt als 2003, 1983 oder 1963. Heute machen sie sich zum Beispiel Sorgen wegen der Umwelt, der Inflation oder des Krieges in der Ukraine, 2003 war es der islamistische Terror und 1983 ein drohender Atomkrieg. Das galt und gilt dann aber eben für alle Menschen – und nicht nur für die zur Gen Z zählenden.

Wissenschaftliche Erkenntnisse nutzen

Wenn wir als HR-Verantwortliche wirklich verstehen wollen, was junge Menschen in Bezug auf einen Job umtreibt, um dann das Recruiting gezielt auf sie auszurichten, sollten wir auf fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreifen. In Deutschland liefert solche Erkenntnisse seit 1953 die „Shell Jugendstudie“ [7], die Einstellungen und Verhaltensweisen von jungen Menschen untersucht. Zwar kommt auch hier das problematische Generationenkonzept zum Einsatz. Wenn es aber ausschließlich darum geht, einen Eindruck von der aktuellen Situation zu bekommen, spielt das keine Rolle. Hinsichtlich der Ansprache junger Menschen lohnt sich insbesondere ein Blick in die ARD/ZDF-Onlinestudie [8], die seit 1997 regelmäßig veröffentlich wird.

Wenn wir all das zur Kenntnis nehmen, sollten wir zu einem zentralen Schluss kommen: Insiderinnen und Insider, die uns die geheimnisvolle Genz Z näherbringen, brauchen wir eigentlich nicht. Denn die Gemeinsamkeiten sind deutlich größer als die Unterschiede. Und bei den wenigen Unterschieden helfen keine grundsätzlichen Zuschreibungen. Wenn überhaupt, geht es um Details! Dass Gen-Z-Menschen häufig Intensivnutzer von Social-Media-Plattformen sind, ist trivial (das sind aber auch die Vertreterinnen und Vertreter der Gen Y, der Gen X und der Boomer-Generation). Interessant ist hingegen herauszufinden, welche Plattformen die Gen Z tatsächlich nutzt und wie sie das macht. Und das setzt voraus, sich intensiv mit den jungen Menschen zu befassen. Für HR-Abteilungen ist das immer eine sinnvolle Sache. Übrigens auch schon vor 10, 20 oder 30 Jahren.

Eine Besonderheit hat die Gen Z dann doch

Etwas hat sich aber schon geändert: Viele Personalabteilungen haben es in der Vergangenheit oft nicht für nötig gehalten, sich gezielt um junge Menschen zu bemühen. Stellenanzeigen, die explizit Berufseinsteiger adressiert haben, waren noch vor ein paar Jahren eine Ausnahme (von klassischen Ausbildungsberufen mal abgesehen). „Wir brauchen mehr Seniorität“ war die oft gehörte Pauschalabsage von Fachbereichen gegenüber dem Nachwuchs.

Wer jungen Menschen dennoch überhaupt mal eine Chance gab, bereit war, die notwendigen Fähigkeiten erst zu vermitteln, hielt das meist schon für mehr als genug Entgegenkommen. Als Bewerberin oder Bewerber dann auch noch Ansprüche zu stellen, war ein sicherer Weg, eine Absage zu erhalten.

Doch die Zeiten, in denen es keinen Mangel an Arbeitskräften gab, sind längst vorbei. Kandidatinnen und Kandidaten sitzen heute in der Regel am längeren Hebel. Die Gen Z mag also gar nicht so besonders besonders sein. Ihre Wünsche mögen sich gar nicht so sehr von denen früherer Nachwuchsgenerationen unterscheiden. Man kann sie nur nicht mehr so einfach ignorieren.

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