Menschen in Bewegung in Fußgängertunnel

Theorie vs. Praxis in der HR-Digitalisierung

Prof. Dr. Jäger über Führung im digitalen Zeitalter, Herausforderungen der Digitalisierung,  Mensch-Maschine Beziehung, häufige Fehler und vieles mehr.

Prof. Dr. Jäger über Führung im digitalen Zeitalter, Herausforderungen der Digitalisierung,  Mensch-Maschine Beziehung, häufige Fehler und vieles mehr.

Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf den HR-Bereich? Welchen Herausforderungen stehen Personalverantwortliche gegenüber? Was sind die Anforderungen an die Führungskräfte von morgen? Und wie müssen Unternehmen jetzt handeln, um mit der Zeit zu gehen?

Prof. Dr. Wolfgang Jäger ist Berater, Autor, Redner und Publizist. Aber vor allem ist er eines: ein gefragter HR-Experte! Wir freuen uns sehr, dass er sich die Zeit für ein Interview mit uns genommen und unsere Fragen beantwortet hat.

Portraitfoto Prof. Dr. Wolfgang Jäger

Prof. Dr. Wolfgang Jäger

Prof. Dr. Wolfgang Jäger ist seit über 20 Jahren Professor für Media Management an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der Optimierung personalwirtschaftlicher und kommunikationsbezogener Prozesse und Strukturen. Seit 1990 ist der gelernte Betriebswirt darüber hinaus Gesellschafter der Dr. Jäger-Managementberatung und der DJM Consulting GmbH. In den letzten 10 Jahren wurde Prof. Dr. Jäger mehrfach von der Fachzeitschrift Personalmagazin zu einem der führenden Köpfe des Personalwesens gewählt.

Buzzword „Digitalisierung“?

Redaktion: In den letzten Jahren hat das Thema Digitalisierung im Personalbereich immer mehr Fahrt aufgenommen. Können Sie das Wort Digitalisierung eigentlich noch hören? Und was verstehen Sie speziell im HR-Bereich darunter? 

Prof. Dr. Wolfgang Jäger: Ich kann das Wort Digitalisierung sogar noch sehr gut hören. Ich sehe die Notwendigkeit, sich darüber auszutauschen. Schlagworte sind immer ganz schnell da: erst auf Konferenzen, dann in Fachbeiträgen und dann in Studien. Und in den Studien stellt man dann immer wieder fest, dass die Praxis noch längst nicht so weit ist, wie ein Thema thematisch heißgekocht wird. Im HR-Bereich gibt es drei technologische Kernthemen, die die Digitalisierung treiben: das Internet der Dinge, also die stärkere Vernetzung von Menschen und Maschinen. Im HR-Bereich z. B. Kollaborations-Plattformen. Die beiden anderen Themen sind Big Data und künstliche Intelligenz. Und eigentlich gibt es auch noch einen vierten Punkt: Medien. Hier besonders die audiovisuellen Medien, Stichwort Augmented Reality bzw. Virtual Reality. Das spielt im HR in den Bereichen Recruiting und Learning bereits heute schon eine Rolle. 

Neue Technologien im Anmarsch

Redaktion: Lassen Sie uns auf diese vier Säulen nochmal genauer eingehen. Für die Bereiche Internet der Dinge und Medien haben Sie uns schon Beispiele genannt. Aber wie sieht das bei Big Data aus? Und beim Thema künstliche Intelligenz? Ist das im Moment noch ein theoretisches Konstrukt oder sehen Sie da schon konkrete Anwendungen?

Prof. Dr. Wolfgang Jäger: Nein, da sehe ich noch keine konkreten Anwendungen. Wenn, dann weit entfernt am Horizont. Die Treiber für die Organisationsentwicklung im Personalmanagement sind die Technologien. Und damit auch die großen Technologieanbieter. Aber die haben noch nichts serienreif, weil die Datenmengen noch nicht vorhanden sind. Im Recruiting haben wir schon Ansätze von künstlicher Intelligenz, nämlich bei den Matching-Technologien. Hier sind einige Anbieter schon so weit, dass die Maschine automatisch die Qualifikation der Bewerber mit den Anforderungen der Stelle abgleicht. Die ersten Chatbots sind im Recruiting ebenfalls schon unterwegs. Und zwar auch solche, die nicht nur vorgefertigte Antworten geben, sondern auch welche, die selbst lernen bzw. automatisch dazulernen.

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Bereit machen für technische Veränderungen

Redaktion: Heißt das, dass sich Personalerinnen und Personaler jetzt technologisch fit machen müssen?

Prof. Dr. Wolfgang Jäger: Ja, auf jeden Fall. In den Verwaltungsbereichen wird sich die Arbeit ändern. Einfache Tätigkeiten werden von Maschinen übernommen. Die Menschen müssen lernen, mit solchen Systemen umzugehen, mit ihnen zusammenzuarbeiten und die Ergebnisse zu nutzen. Dadurch können sie ihre Arbeit auf die Dinge beschränken, die einen tatsächlichen Mehrwert haben. Die Arbeit und die Rollen im Personalmanagement werden sich durch das Internet der Dinge und die Industrie 4.0 auf jeden Fall verändern. Und auch die Büros und Arbeitsplätze werden dadurch anders aussehen.

Führung im digitalen Zeitalter

Redaktion: Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie dabei für die Personalarbeit? Auch speziell für Führungskräfte, also Führung im digitalen Zeitalter?

Prof. Dr. Wolfgang Jäger: Auf die Personalabteilungen kommen zwei Aufgaben zu: Die Personalabteilung muss das Unternehmen unterstützen, die Digitalisierung und die damit verbundenen Transformationsprozesse umzusetzen. Das Stichwort lautet hier Organisationsentwicklung. Und damit meine ich besonders die Aus- und Weiterbildung und die Änderung der Arbeitsorganisation im gesamtem Unternehmen.

Aber auch die Führung ändert sich. Die neue Welt kämpft gegen die alte Welt. Aber wie lange kann das funktionieren und wer gewinnt diesen Wettstreit letztendlich? Viele nehmen sich die großen Firmen wie Daimler oder Bosch zum Vorbild, andere arbeiten verstärkt mit Start-ups zusammen oder holen sich Hilfe von Accelerators.

Es gibt kein Patentrezept. Eine solche Transformation hat eine Laufzeit von drei bis sieben Jahren. Aktuell gibt es nur Anzeichen und Berichte. Und auf Konferenzen wird natürlich auch nur von Erfolgen und nicht von Misserfolgen berichtet. Man muss immer mit den anderen im Unternehmen sprechen, mit denen, die nicht im Rampenlicht stehen. Da hört man manchmal was völlig anderes.

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Praxis vs. Theorie

Redaktion: Wie muss sich dann Ihrer Meinung nach das Verhalten von Führungskräften ändern? Wie muss sich die Mitarbeiterführung verändern? Haben Sie hier schon Erfahrungen mit Unternehmen gemacht, die Sie beraten?

Prof. Dr. Wolfgang Jäger: Es ist leichter über das Thema zu sprechen, als es in der Realität umzusetzen. Es ist nicht immer einfach, das Verhalten von Menschen zu ändern. Menschen haben eine bestimmte Einstellung zu Dingen, mit denen sie in der Vergangenheit erfolgreich waren. Es ist ein schwieriges Unterfangen, denen klar zu machen, dass jetzt vielleicht alles besser sein soll. Ich habe dazu etwas geschrieben, also zum Thema New Work, New Leadership. Es heißt, zuerst muss sich die Arbeit bzw. die Arbeitsorganisation ändern, bevor es die passende Art von Führung gibt. Man kann also nicht die alte Arbeitswelt behalten und sagen „Ich mache jetzt mal eine neue Führung“ und dann wird alles gut. Erst muss sich die Organisation entwickeln und dann braucht es die Art von Führungskräften, die die passende Art von Führung haben. Sie müssen Enthusiasmus vermitteln und müssen als Identifikationspersonen wirken können. Und sie müssen Inspiration und Motivation vermitteln. Und am Ende auch eine Art von individualisierter Fürsorge. Das sind die Elemente, die das New Leadership ausmachen.

Es ist leichter, über Digitalisierung zu reden, als sie umzusetzen

Prof. Dr. Wolfang Jäger

Rollenverteilung wie beim Fußball?

Redaktion: Das Bild, das Sie da zeichnen, erinnert an das von Coaches im Sport. Diese stehen am Spielfeldrand, haben aber letzten Endes nicht mehr allzu viel zu bewirken, sobald das Spiel läuft. Aber sie können das Team zusammenstellen, motivieren und eine Ansprache in der Kabine halten. Aber wenn das Spiel läuft, dann läuft es. Sehen Sie das ähnlich?

Prof. Dr. Wolfgang Jäger: Ja, aber in einer neuen Form. Heute ist es etwas anders. Im Fußball beispielsweise braucht man Akteure auf dem Platz, die Spaß daran haben, eine andere Art von Fußball zu spielen. Mit Persönlichkeit, denen es Spaß macht, auch mal in einer anderen besonderen taktischen Formation zum Erfolg zu kommen. Und wenn man diese gefunden hat, die mit der Taktik zurechtkommen, daran glauben und die sich dann auch in ihrer Rolle auf dem Platz, in ihrer Position, perfekt ausleben können, dann hat man als Coach einen guten Job gemacht. Laufen tun die Spielerinne und Spiele schon von alleine. Aber das Ziel ist dann nicht mehr, einfach nur eine Prämie zu bekommen, sondern den besten und erfolgreichsten Fußball zu spielen und letztendlich auch zu gewinnen. Und solche Trainerinnen und Trainer gibt es im Profisport mittlerweile genug. Junge Talente, bei denen ein anderer Wind weht, genauso wie ältere, die sich nochmal neu erfunden haben. Die gehen anders vor als noch die Generation vor ihnen.

Zusammenarbeit mit Maschinen

Redaktion: Wenn wir das dann auf die Arbeitswelt übertragen, sollen die Mitarbeitenden also mehr unternehmerisch denken? Im Rahmen gewisser Leitplanken selber Entscheidungen treffen? Aber wie soll das z. B. in der Fertigung funktionieren? Beispielsweise bei einem Facharbeiter in der Automobilindustrie?

Prof. Dr. Wolfgang Jäger: In der Fertigung sieht das schon etwas anders aus. Aber auch hier gibt bzw. wird es Neuerungen geben. Stichwort: Zusammenarbeit mit Maschinen. Es gibt schon die ersten wunderbaren Ansätze, in denen die Maschinen aufgrund der Vernetzung bei sie steuernden Menschen anfragen, ob sie dann und dann Zeit für eine Sonderschicht haben. Die Zusammenarbeit der Mensch-Maschinen-Systeme wird sich wesentlich stärker ausprägen. Die Mitarbeitenden in den Shopfloors sind da sogar weiter als diejenigen im Verwaltungsbereich. Da sie eben jetzt schon viel stärker mit den Maschinen zusammenarbeiten.

Außerdem werden sie im Laufe der Zeit eine viel mehr unterstützende, überwachende und helfende Tätigkeit haben. Durch die fortschreitende Maschinenintelligenz wird auch eine ganze Reihe von einfachen Tätigkeiten wegfallen. Aber die Wartung, Analyse etc., das bleibt natürlich bei menschlichen Mitarbeitenden.

Dynamische Arbeitsorganisation

Redaktion: Bleiben wir noch kurz bei den Mitarbeitenden in der Fertigung. Diese sind ja stark von Kultur geprägt. D. h., man arbeitet in Schichten etc., Dinge, die man gewohnt ist. Führt das nicht vielleicht zu gewissen Schwierigkeiten, wenn es für die Mitarbeitenden im Büro plötzlich die Möglichkeit von Homeoffice gibt? Wie sehen Sie das? Haben Sie da bereits Erkenntnisse, wie man das zusammenbringen kann?

Prof. Dr. Wolfgang Jäger: Ich glaube, dass das bei den Mitarbeitenden in der Produktion gar kein Thema ist. Die lieben ihren Job, die Zusammenarbeit mit den Maschinen und in der Produktion. Die schauen nicht in die Verwaltung oder andere Abteilungen. Aber wir befinden uns schon in einem Wandel. Es gibt einerseits Betriebe, die sprechen ihren Mitarbeitenden in der Produktion ein Handyverbot aus. Und es gibt Betriebe, da gibt es in den Werkshallen freies WLAN, und die Mitarbeitenden planen über eine App Arbeitseinsätze und kommunizieren miteinander. Es befindet sich sehr viel im Umbruch und es stoßen alte und neue Kulturen aufeinander. Eine richtige Lösung gibt es noch nicht. Da muss die Arbeitsorganisation behutsam weiterentwickelt werden. Und in diesen Prozess müssen vor allem die Arbeitnehmervertreter miteinbezogen werden.

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Gute Führungskräfte sind der Schlüssel zum Erfolg. Doch Führungskompetenz steht selten im Fokus. Ein Blick zum Sport zeigt, wie wichtig diese jedoch ist.

Ich wehre mich immer gegen Pauschalisierungen. Es gibt viele Herausforderungen, mit denen sich die Arbeitnehmervertreter ausgiebig beschäftigen. Aber es gibt auch eine Reihe von Modellversuchen, in denen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, speziell im großen Bereich Maschinenbau, die IG Metall und die Betriebsräte konstruktiv zusammenarbeiten. Ich erlebe also nicht so sehr eine Verweigerungshaltung, eher die Frage „Wie stellen wir uns darauf ein?“. Aber eine pauschale Ablehnung der ganzen Technologien habe ich nicht mitbekommen.

Die Führungskraft von morgen

Redaktion: Ich würde gerne nochmal das Thema Führung ansprechen. Welche Kompetenzen braucht eine Führungskraft Ihrer Meinung nach, um die Chancen der Digitalisierung optimal zu nutzen?

Prof. Dr. Wolfgang Jäger: Da gibt es zwei Arten: entweder akademisch wissenschaftliche Kompetenzen oder „umgangssprachliche“. Wenn man den umgangssprachlichen Weg nimmt, dann gilt meiner Meinung nach Folgendes: „Erkenne und respektiere die neue Macht deiner Mitarbeitenden.“ Es geht aber auch darum, Informationen zu teilen und Vertrauen aufzubauen. Und darum Neugier und Bescheidenheit zu zeigen, Offenheit zu fordern und Fehler zu vergeben. Man muss Inspiration und Motivation mitbringen. Führungskräfte müssen etwas rüberbringen können und dann auch in der Lage sein, die intellektuelle Stimulation hervorzurufen. Also auch etablierte Denkmuster aufbrechen, neue Denkmuster vermitteln. Und sie müssen sich um die einzelnen Mitarbeitenden kümmern. Wenn diese merken, dass die Führungskräfte dahinterstehen und am selben Strang ziehen, dann wird das alles authentisch und glaubwürdig. Und in diese Richtung müssen Führungskräfte unterwegs sein, wenn sie Leadership haben wollen.

Digitalisierung: Typische Fehler

Redaktion: Damit kommen wir auch schon zur letzten Frage. Was machen Unternehmen beim Umsetzen der Digitalisierung, beim Angehen der Digitalisierung typischerweise falsch? Was sind typische Fehler, die Ihnen auffallen, von denen auch unsere Leserinnen und Leser profitieren können?

Prof. Dr. Wolfgang Jäger: Ich glaube, Unternehmen müssen zunächst eine grundsätzlich passende Digitalisierungsstrategie finden. Und diese Strategie muss gut zur Kultur des Unternehmens passen. Das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen. Der alte Lehrsatz hieß „structure follows strategy“. Aber das wurde mittlerweile ergänzt durch „follows culture“. Ich würde sogar noch weitergehen und ein „follows leadership“ dranhängen. Die Unternehmen sind unsicher und brauchen Leader, die vorangehen. Ich glaube, ein CEO eines Unternehmens müsste zugleich oberster Digital Officer sein. Wenn der CEO vorangeht und das Thema Digitalisierung zur Chefsache macht, dann ist das ein vielversprechender Weg. Wahrscheinlich braucht es daneben noch einen hauptamtlichen Digital Officer auf einer Ebene weiter unten, der das ganze Thema im Einzelnen koordiniert und umsetzt. Aber der CEO muss derjenige sein, der dahintersteht.

Und natürlich braucht es auch Vernetzung, Agilität und Partizipation im Unternehmen. Und es muss einen tatsächlichen Plan für die Transformation geben, mit den Methoden der Organisationsentwicklung. Das ist eine Aufgabe, die die Personalentwicklung betrifft. Es muss auch ein bestimmter Digitalisierungsgrad in die HR-Prozesse eingebracht werden.

Redaktion: Also, zusammengefasst heißt das, dass die Personalorganisation erstmal anfangen muss, ihre Prozesse zu digitalisieren. Und dann sollte grundsätzlich im Gesamtunternehmen eine Digitalisierungsstrategie kreiert werden, und danach folgt erst alles weitere wie Kulturarbeit, Transformation usw.


Prof. Dr. Wolfgang Jäger: Richtig. Es muss ja erstmal geklärt werden, wo wir hinmüssen. Und dann sollte danach geschaut werden, was die richtigen Hebel sind, um das dann auch zu erreichen. Die Strategie bedingt also auch die organisatorischen Fragen: Muss mehr in die Agilität investiert werden oder mehr in die Projektorganisation? Was bedeutet die Vernetzung für die Kommunikation untereinander? Wie verändern sich die Arbeitsplätze? Wie verändern sich Zusammenarbeit und Führung? Das sind alles Themen, bei denen die Personalorganisation einen wichtigen Beitrag leisten muss.

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