Co-Working Space mit Menschen am PC

Wie gegenseitiges Vertrauen zu besseren Entscheidungen führen kann

Weiterbildung für Führungskräfte - soziale Kompetenz stärken

Erfahrungsbericht mit Julian Bonato, Teilnehmer des Führungskräftetrainings SeitenWechsel, über soziale Kompetenz von Führungskräften.

SeitenWechsel ist ein bundesweites Programm, das Führungskräften die Möglichkeit gibt, sich eine Woche lang in einer sozialen Einrichtung zu engagieren. Die Erfahrungen in einer anderen Lebenswelt dienen der persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung. Im Interview erzählt Herr Bonato über seine nachhaltigen Erlebnisse und Erfahrungen. 

Über unseren Interview-Gast

Julian Bonato MHG_Pic

Julian Bonato

Julian Bonato ist geschäftsführender Gesellschafter der MHG Gruppe in Buchholz. 
MHG zählt zu den führenden deutschen Anbietern hochwertiger heiztechnischer Systeme und Komponenten für Öl, Gas, Umweltwärme, Solar und Hybridheizsystemen.

Wie alles begann

Redaktion: Herr Bonato, Sie sind geschäftsführender Gesellschafter bei der MHG Gruppe und haben 2019 in der Hamburger Bahnhofsmission mitgewirkt. Wie sind Sie auf SeitenWechsel aufmerksam geworden?

Herr Bonato: Ein guter Freund hat selbst an SeitenWechsel teilgenommen und mir ganz begeistert davon erzählt. Ich fand die Idee, in andere Lebenswelten zu wechseln, Grenzsituationen zu erleben und zu sehen, was das mit mir macht, sehr spannend.

Hamburger Bahnhofsmission

Redaktion: Warum haben Sie die Hamburger Bahnhofsmission als Einsatzort ausgewählt?

Herr Bonato: Weil ich dort genau diese Grenzsituationen erleben konnte. Die Bahnhofsmission wurde Ende des 19. Jahrhunderts gegründet, um Menschen, die damals im Zuge der Landflucht in die Stadt kamen, aufzufangen und eine Perspektive zu geben. Und das tut sie bis heute. Ihr Motto lautet „Wir sind da“ – für Menschen, denen ein soziales Netz fehlt, die durch alle gesellschaftlichen Raster gefallen sind. Sie bekommen hier einen Kaffee, jemanden zum Unterhalten und Hilfe bei ihren Problemen. Gerade für EU-Ausländer:innen, die in Deutschland keinen Sozialhilfeanspruch haben, ist die Bahnhofsmission eine letzte Auffangstation.

Die Neugierde war groß

Redaktion: Mit welchen Gefühlen sind Sie in die Woche bei der Bahnhofsmission gestartet?

Herr Bonato: Ich war neugierig und offen, was auf mich zukommt. Berührungsängste hatte ich nicht. Denn: Ich wurde sehr gut von SeitenWechsel auf die Woche vorbereitet und hatte für schwierige Situationen die erfahrenen Kolleginnen und Kollegen der Bahnhofsmission an der Seite.

Redaktion: Wie sah die Vorbereitung aus?

Herr Bonato: Es gab eine Informationsveranstaltung von SeitenWechsel, Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Partnereinrichtungen und nach meiner Auswahl mit dem Leiter der Hamburger Bahnhofsmission selbst. Ich hatte schließlich eine Art Stundenplan an der Hand und wusste, wie die Woche organisatorisch abläuft.

Hörempfehlung:

SeitenWechsel ist ein bundesweites Programm, das Führungskräften die Möglichkeit gibt, sich eine Woche lang in einer sozialen Einrichtung zu engagieren. Die Erfahrungen in einer anderen Lebenswelt dienen der persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung. Elke Sank, Programmleiterin von Seitenwechsel, erklärt, worum es im Programm geht, wie es abläuft und berichtet von den Erfahrungen der Teilnehmer.

Einblicke in die Praxis

Redaktion: Wie lief die Woche denn ab?

Herr Bonato: Die Arbeit bestand aus Schichten im Bahnhof, bei denen „Streife“ gelaufen wird, und aus Einsätzen vor Ort in der Bahnhofsmission. Jede Bahnhofsschicht findet zu zweit statt, in der Bahnhofsmission sind mehrere Kolleginnen und Kollegen gleichzeitig im Einsatz. Wir haben allen geholfen, die Hilfe benötigten und wünschten. Dabei begegnet man Menschen, die mit dem Fahrkartenautomaten nicht zurechtkommen oder ihr Gleis suchen, aber auch welchen, die in Notsituationen sind. So wie ein Mann im Rollstuhl, der nach neuer Kleidung und einer Behandlung für seine entzündeten Beine fragte. Ich habe mich um ihn gekümmert, mit dem Rettungsdienst und dem Krankenhaus verhandelt – bis wir eine Lösung fanden. Er sagte mir, dass ich der erste Mensch seit Monaten sei, der etwas für ihn täte. Es hat mich einerseits sehr berührt, wie Menschen sich öffnen und von ihrer Lebensgeschichte und ihren Schicksalsschlägen erzählen, andererseits mir gezeigt, wie erschütternd es ist, in unserem Land persönliche Ablehnung zu erfahren.

Den Willen der Menschen respektieren

Redaktion: Welches andere Erlebnis ist Ihnen nachhaltig in Erinnerung geblieben?

Herr Bonato: Das war die Begegnung mit einer Rumänin, gleich an meinem ersten Tag in der Bahnhofsmission. Die Frau war erst vor Kurzem erblindet und konnte ihren Lebensunterhalt nicht mehr durch Leergutsammeln sichern. Sie kam völlig verwahrlost zu uns und suchte Beistand. Gemeinsam mit Partnereinrichtungen haben wir ihr einen Schlafplatz, eine Dusche und etwas zu essen organisiert. Und uns dann um die medizinische Versorgung gekümmert. Am Ende ist es uns sogar gelungen, die Augenoperationen und den Reha-Aufenthalt für die Frau zu finanzieren, um ihr wieder ein eigenständiges Leben zu ermöglichen. Aber: Als wir ihr davon erzählten, wollte sie es nicht annehmen – sie misstraute unserem Wohlwollen. Stattdessen beharrte sie darauf, in den nächsten Zug zu steigen – und weg war sie.

Redaktion: Was hat dieses Erlebnis mit Ihnen gemacht?

Herr Bonato: Das war für das Team ein schwerer Schlag und auch für mich persönlich schwer auszuhalten. Geholfen hat mir ein Gespräch mit einem Kollegen, der meinte, dass wir den Willen der Menschen, die uns um Hilfe bitten, trotzdem jederzeit respektieren müssen. Ein Mensch hat das Recht zu leiden. Niemand kann zu etwas gezwungen werden, wovon wir meinen, dass es das Beste für sie oder ihn ist. Ich muss aber dazu sagen, dass solche besonderen Fälle, wie eben beschrieben, höchstens ein-, zweimal im Jahr vorkommen.

Nachhaltige Erfahrungen

Redaktion: Sprechen wir über den Transfer Ihrer Erlebnisse in den Alltag. Was haben Sie von SeitenWechsel für Ihre Arbeit mitgenommen?

Herr Bonato: Die Erlebnisse haben mir gezeigt, dass Menschen, denen das Vertrauen fehlt, schlechte Entscheidungen treffen, und dass ganz viele schlecht getroffene Entscheidungen dazu führen, in schlimme Lebenssituationen zu geraten. Auf die Arbeitswelt übertragen bedeutet das für mich, dass es eine Vertrauensbasis im Unternehmen braucht, um gute Entscheidungen zu treffen. Das gilt vor allem für moderne Organisationen, in denen eigenverantwortliches Handeln gefordert ist.

Vertrauen entsteht meiner Meinung nach, wenn man hält, was man verspricht und nichts verspricht, was man nicht halten kann.

Julian Bonato

Redaktion: Wie bringen Sie diese Erfahrungen konkret in Ihr Unternehmen ein?

Herr Bonato: Vertrauen entsteht meiner Meinung nach, wenn man hält, was man verspricht und nichts verspricht, was man nicht halten kann. Unser Versprechen gegenüber unseren Mitarbeitenden lautet, Eigenverantwortung zu fördern, Wertschätzung zu zeigen und eine positive Fehler- und Lernkultur zu ermöglichen. Dabei legen wir viel Wert auf Kommunikation, Aussprachen, Vereinbarungen und Mediationen. Außerdem veranstalten wir Social Events wie den „Firmen-Freitag“, an dem wir die Mitarbeitenden zum Mittagessen einladen, sowie interne Seitenwechsel, bei denen Mitarbeitende kurzzeitig die Abteilungen tauschen und neue Einblicke ins Unternehmen gewinnen können. Zusammengefasst: Uns ist wichtig, dass unsere Mitarbeitenden sich bei uns wohlfühlen und dass wir ein gutes, vertrauensvoll zusammenarbeitendes Team sind. Meine Erfahrungen bei SeitenWechsel haben dazu beigetragen, auf diese Aspekte ein besonderes Augenmerk zu legen.

Mehr zum Thema:

Menschen sitzen zusammen

5 Merkmale für gutes Leadership

Der Erfolg eines Unternehmens hängt maßgeblich von der Führungskompetenz seiner Leader ab. Doch was ist gutes Leadership?

Hören und lesen Sie mehr zum Thema