Junge Frau im Bewerbungsgespräch

Mystery-Studie deckt Schwächen im Recruiting auf

Bewerbermanagement mit Wirkung: fünf Impulse

Der Alltag in HR-Abteilungen kann betriebsblind machen. Wir werfen einen Blick von außen aufs Bewerbungsmanagement. Was lässt sich im Recruiting verbessern?

120 Bewerbungen, vier HR-Profis, ein ernüchterndes Fazit

Was passiert, wenn sich erfahrene Personaler selbst ins Rennen um HR-Jobs begeben? Talent-Centric-Gründerin Sarah Böning und drei Kolleg:innen haben genau das getan [1] – und dabei aufgedeckt, wie holprig viele Bewerbungsprozesse noch immer ablaufen.
Ihr Selbstversuch zeigt: In Sachen Candidate Experience ist viel Luft nach oben. Wo es hakt – und was Sie konkret besser machen können, lesen Sie hier: Fünf praxisnahe Impulse für ein Bewerbermanagement, das wirklich Eindruck macht.

1. Interesse bekunden mit rascher Rückmeldung

Zwischen 11 und 17 Tagen dauerte es durchschnittlich, bis Unternehmen nach einer Bewerbung von sich hören ließen. Ob sich Bewerbende rund zwei Wochen gedulden, hängt von vielen Faktoren ab. Vor allem die Talente, die zwischen Angeboten wählen können, sollten tunlichst eher früher als später eine Rückmeldung bekommen, damit sie nicht das Interesse verlieren. Insofern lohnt es sich, im Rahmen eines gut strukturierten Bewerbungsmanagements das Recruiting zu straffen. Nach dreieinhalb Monaten, wie in einem Fall geschehen, rechnet sicher niemand mehr mit einer Antwort.
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2. Ein No-Go: Ghosting

In 9 von 120 Fällen, also bei mehr als 7 Prozent, meldete sich das Unternehmen gar nicht zurück. Das sollten Sie unbedingt vermeiden, denn es verunsichert die Kandidaten und beschädigt das Employer Branding. In einer aktuellen Studie unter Nachwuchskräften (Gen Z) geben drei Viertel der Teilnehmer an, diese Erfahrung schon einmal gemacht zu haben.[2] Es ist nicht nur so, dass Unternehmen nach der Eingangsbetätigung nichts mehr von sich hören lassen, sondern Ghosting kommt auch im Verlauf des Bewerbungsprozesses vor. Je später im Prozess Bewerbende die Erfahrung machen – etwa nach einem Jobinterview – desto schwerer wiegt sie.

In derselben Studie räumt die Hälfte der ebenfalls befragten Personalerinnen und Personaler ein, sich bewusst nicht mehr gemeldet zu haben. Mangelhafte Workflows wären als Grund schon schlimm genug. Dass sich Ihre Mitarbeitenden wissentlich der Kommunikation mit Kandidatinnen entziehen, sollten Sie nicht dulden. Ohne eine generelle Wertschätzung der Interessenten hilft das beste Bewerbungsmanagement nichts. Wenn Sie als Unternehmen mit gutem Beispiel vorangehen, tragen Sie dazu bei, dass sich die Kultur insgesamt verbessert. Denn auf der anderen Seite macht das Ghosting auch Unternehmen zu schaffen. So berichtet das IAB, dass jeder vierte Betrieb mit unbesetzten Ausbildungsplätzen als Grund anführt, dass Bewerbenden kurzfristig abgesprungen sind.[3] Auf beiden Seiten gibt es also in puncto offene und faire Kommunikation deutlichen Optimierungsbedarf.

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3. Konsistente Kommunikation

Ein Wechsel zwischen „du“ und „Sie“ in Stellenanzeigen und generische E-Mails tragen kaum dazu bei, dass sich Bewerbende von Beginn an persönlich angesprochen fühlen. Im Rahmen ihrer Mystery-Studie fühlten sich die Autoren häufig kommunikativ nicht gut abgeholt: „90 % der Unternehmen griffen auf vorgefertigte E-Mails zurück, die wenig oder gar keine persönliche Ansprache enthielten. Dies verstärkte den Eindruck, dass Bewerbende nur eine ‚Nummer‘ im Prozess sind und es war nicht möglich dadurch ein Unternehmen etwas besser kennenzulernen. In Bezug auf die Candidate Experience sind also nahezu alle Unternehmen sehr austauschbar.“[4]

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Arbeitgeber verpassen so die Chance, gleich zu Anfang eine gute Beziehung aufzubauen. Außerdem könnten sie gerade die ersten Kontaktpunkte nutzen, um sich als Unternehmen mit einer individuellen Ansprache zu profilieren oder mit interessanten Einblicken die Neugier der potenziellen Mitarbeitenden zu wecken. Um zumindest „Hallo (Vorname des Bewerbers), wir freuen uns, dass Sie sich für unser Unternehmen interessieren“ auszuschließen, lohnt es sich, verbindliche Kommunikations-Guidelines zu entwickeln. Neben der Anrede und Ansprache könnten Sie auch Antwortzeiten (siehe Punkt 1), Feedbackprozesse und den Umgang mit Absagen integrieren, um Ihr Bewerbungsmanagement zu optimieren.

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Du oder Sie?

Vielleicht hatten Sie auch schon mit Konzernen zu tun, die von jetzt auf gleich das Du für die gesamte Kommunikation verordnet haben. Doch wenn der Azubi Bereichsleiterin Frau Dr. so und so plötzlich duzen soll, können das beide Seiten als unangenehm empfinden. Auch schwierig: Der Teamleiter bietet ausgewählten Mitarbeitenden das Du an, anderen nicht. Wirtschaftspsychologe Prof. Dr. Uwe Peter Kanning ist vor einigen Jahren der Frage nachgegangen, welche Anrede sich Bewerbende und Mitarbeitende wünschen.[5] Das Ergebnis: Eine Mehrheit möchte am liebsten selbst entscheiden, wie sie das Gegenüber anspricht. „Eine verbindliche Kultur des Siezens findet die geringste Zustimmung, während eine verbindliche Duz-Kultur etwas mehr Zustimmung findet.“

Von Auszubildenden über Mitarbeitende bis zu Führungskräften lehnte zumindest 2019 eine Mehrheit das Du in Stellenanzeigen und als Standard in Einstellungsgesprächen ab. Zwar sehen wir seitdem häufiger #gerneperDu. Allerdings geben in einer Forsa-Studie aus dem Jahr 2023 immer noch 27 Prozent aller Männer und sogar 31 Prozent der Frauen an, dass sie in Stellenanzeigen gesiezt werden wollen.[6] Welche Ansprache Sie wählen, will also sorgfältig überlegt sein. Ideal ist, wenn Sie dazu einen Konsens im Unternehmen herstellen können. Auf jeden Fall sollte die Ansprache im Recruiting zu dem passen, was Sie intern praktizieren.

Eine verbindliche Kultur des Siezens findet die geringste Zustimmung, während eine verbindliche Duz-Kultur etwas mehr Zustimmung findet.

4. Usability des Bewerbermanagementsystems

Bewerbermanagementsysteme – so genannte ATS (Applicant Tracking Systems) – sollen HR, aber auch den Bewerbenden das Leben leichter machen. Mitunter sind sie aber viel zu kompliziert für Anwender:

  • Ein Viertel der in der Mystery-Studie untersuchten Arbeitgeber setzten ATS-Systeme ein, bei denen man sich anmelden musste, um Unterlagen hochzuladen. Das empfanden die Autoren als unnötige Hürde. Ohne Anmeldepflicht bieten die Systeme indes einen sehr komfortablen Weg, ohne Mühe mit einem Unternehmen in Kontakt zu treten.
  • Schwierigkeiten bereitete auch das CV-Parsing, die automatische Übertragung von Daten aus dem Lebenslauf in ein Formular. Häufig wurden Angaben falsch zugeordnet und mussten mühsam händisch korrigiert werden. Verzichten Sie im Zweifelsfall lieber auf diese Technologie, bevor Sie die Geduld von Bewerberinnen und Bewerbern unnötig strapazieren.

Die Studien-Autoren berichten auch über einen Negativrekord: „Ein Beispiel ist ein Unternehmen (sehr namhafte und große Firma), dessen ATS-System die Bewerbenden zwang, über 15 Minuten lang ausschließlich Stammdaten einzutragen, ohne dass andere wichtige Informationen wie Kompetenzen oder berufliche Ziele erfragt wurden.“[7] Für beide Seiten sollten der Nutzen den Aufwand überwiegen. Außerdem senken Sie Hürden, wenn Sie mehr als eine Möglichkeit zur Kontaktaufnahme bieten.

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5. Gehaltsangaben in Stellenanzeigen

„Ist das Augenhöhe in einer Candidate Journey?“[8] Diese Frage stellen sich Sarah Böning und ihre Kollegen beim Thema Gehaltsangaben im Bewerbungsmanagement. Nur sehr selten finden sich Informationen dazu in Stellenanzeigen, obwohl es eines der wichtigsten Entscheidungskriterien ist. Auf der anderen Seite verlangen Arbeitgeber von Kandidatinnen und Kandidaten, dass sie bereits in der Bewerbung ihre Gehaltsvorstellungen angeben. Bei Onlineformularen handelt es sich dabei nicht selten sogar um ein Pflichtfeld. Die Autoren empfehlen, das Thema unbedingt anzusprechen, wobei sie Alternativen zur Angabe konkreter Zahlen nennen: „Transparenz kann auch bedeuten, über die Gehaltsbestandteile zu berichten – wie Anzahl Monatsgehälter, Bonusstrukturen, andere Benefits uvm. – neben der reinen Nennung von Gehältern oder Gehaltsspannen.“[9]

Blinde Flecke im Bewerbungsmanagement

Wenn Sie sich an der einen oder anderen Stelle „ertappt“ fühlen, sind das beste Voraussetzungen, um noch besser zu werden im Recruiting. Immerhin kennen Sie nun Ihre blinden Flecken und wissen, wie Sie sich im Wettbewerb um Talente hervorragend schlagen können. Um noch ein besseres Gefühl für die externe Sicht aufs Unternehmen zu bekommen, haben die Autoren der Mystery-Studie einen besonderen Tipp: Bewerben Sie sich doch mal wieder bei sich selbst. Dann wissen Sie, wie potenzielle Mitarbeitende den ersten Kontakt erleben.

Sarah Böning

Sarah Böning

Sarah Böning ist Gründerin der Recruiting-Beratung Talentcentric und war zuvor Head of Talent Acquisition bei MHP (Porsche-Tochter). Gemeinsam mit drei HR-Kolleg:innen hat sie sich auf 120 Stellen beworben – das Ergebnis: ernüchternd. Welche Schlüsse sie daraus zieht, lesen Sie im Blog – die komplette Studie gibt’s direkt bei Talent Centric zum Download.

[1] Sarah Böning, Dr. Michael Egger, Stefan Wickenhäuser, Janosch Willi: Studie 2024. Mystery Bewerbungsprojekt

[2] https://press.jobteaser.com/ghosting-im-bewerbungsprozess-gen-z-beklagt-fehlverhalten-der-unternehmen

[3] https://www.iab-forum.de/doch-lieber-woanders-hin-wenn-geeignete-bewerberinnen-und-bewerber-abspringen-verschaerft-dies-probleme-bei-der-besetzung-von-ausbildungsplaetzen/

[4] Studie 2024. Mystery Bewerbungsprojekt, Seite 18.

[5] https://www.haufe.de/personal/hr-management/studie-duzen-im-berwerbungsverfahren_80_497778.html

[6] https://www.jobware.de/presse/2023/siezen-immer-noch-erwuenscht

[7] Studie 2024. Mystery Bewerbungsprojekt, Seite 22.

[8] Ebd. Seite 20.

[9] Ebd. Seite 29. 

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