Von Savina Schlichte · 5 Minuten Lesezeit
Unternehmenskultur gestalten. Werte definieren. So kann es gelingen: Ein spannender Praxisbericht der All for One Group.
„Unternehmenskultur kann man nur über Bande beeinflussen“, sagte neulich eine kluge Trainerin zu mir. Ich finde diese Beschreibung sehr anschaulich, wenn man sich einmal überlegt, wie oft Unternehmenskultur implizit prägt, aber nirgends konkret niedergeschrieben ist.
Was also machen, wenn die Unternehmenskultur verändert werden soll? Oder wenn nach Firmenzukäufen die Unternehmenskultur einheitlicher werden soll? Geht das überhaupt? Das haben wir uns als All for One Group ebenfalls gefragt. Und in unseren Fokus unsere Unternehmenswerte gerückt. Wie wir das gelöst haben? Auf diese Reise möchte ich Sie im Folgenden mitnehmen. Vielleicht finden Sie das ein oder andere, was Sie für die Gestaltung Ihrer eigenen Unternehmenskultur mitnehmen möchten.
Savina Schlichte
unterstützt in ihrer Tätigkeit als New Work Officer bei Empleox (Tochterunternehmen der All for One Group SE) die Mitarbeitenden, indem sie ihnen sowohl beratend als auch moderierend zur Seite steht, um die passenden Wege in eine agile und eigenverantwortliche Organisation zu finden.
1. Das unternehmensweite Projekt besetzen
Unternehmenswerte sind nur dann von Wert für die Unternehmenskultur, wenn sie von der breiten Masse aller Mitarbeitenden inklusive der Führung mitgetragen werden. Daher wurde in unserem Fall aus allen Tochterunternehmen, Bereichen, Ländern, Funktionen und Leveln ein Team von ca. 25 Mitarbeitenden vorgeschlagen und ausgewählt – unter der Leitung von HR.
Als erste große Hürde erwies sich der Lockdown im April 2020 – es gab Zweifel, ob so ein Projekt ausschließlich digital durchführbar sein würde. Ich kann berichten, dass es besser klappte als jemals gedacht, auch wenn natürlich die persönlichen Kontakte zu kurz kamen.
2. Startpunkt und Ziel definieren
Wichtig war es für alle Projektmitglieder zu verstehen, warum wir (neue) Unternehmenswerte angehen. Für Teile des Unternehmens gab es bereits Werte, die jedoch nicht mehr im Fokus der Mitarbeitenden waren und nicht gelebt wurden. Andere, neue Unternehmensteile hatten bisher keine explizit niedergeschriebenen Werte und fragten sich, ob die „Festlegung“ durch ein Projekt wirklich erfolgreiche Unternehmenswerte hervorbringen und unsere gemeinsame Unternehmenskultur damit tatsächlich positiv beeinflussen kann.
Im Kick-off drehte sich alles um das einheitliche Verständnis. Warum benötigen wir einheitliche Unternehmenswerte und dazu passende Führungsleitlinien?
- Unternehmenswerte und Führungsleitlinien schaffen intern und extern Orientierung, besonders in Krisenzeiten.
- Unternehmenswerte sind ein Erfolgsfaktor für unser Unternehmen.
- Niemand arbeitet gerne für ein Unternehmen, dessen Werte nicht annähernd mit den eigenen übereinstimmen.
- Eine klare Firmenphilosophie hilft, MitarbeiterInnen zu finden, die gut zum Unternehmen passen und sich mit diesem identifizieren.
- Eine hohe Werte-Übereinstimmung führt zu mehr Zufriedenheit und Motivation und somit zu besserer Mitarbeiterbindung.
EXKURS: Von Anfang an gab es einen „Kern“, den alle im Projekt gemeinsam angehen wollten: EHRLICHKEIT. Niemand wollte, dass die erarbeiteten Unternehmenswerte zu bloßen Lippenbekenntnissen degradiert oder als schicke Marketingmaßnahme enden würden. Durch diesen gemeinsamen Gedanken wurde im Team offen und kritisch diskutiert und auch darum gerungen, welche die richtigen Werte sein könnten. Diese Offenheit hat sich durch die Akzeptanz der Unternehmenswerte durch unsere Mitarbeitenden für uns ausgezahlt.
3. Unternehmenswerte herausarbeiten
„Herausarbeiten“ war das Stichwort: In Kleingruppen wurde für den nächsten Workshop die Vorarbeit geleistet. Es gab 3 Situationen zu beschreiben, zu denen auch weitere KollegInnen befragt wurden, deren Antworten einflossen:
- 1. Situation:
Recap - wir befinden uns in der Zukunft und ein Kollege stellt dir folgende Fragen: „Die All for One Group ist stabil durch die Zeit der Pandemie gekommen. Mit welchen Eigenschaften/Verhaltensweisen habt ihr diese Herausforderung gemeistert? Worauf konntest du dich selbst in dieser extremen Zeit am meisten verlassen? Welche Verhaltensweisen sind sichtbar geworden und für die Zukunft weiterhin relevant?“ - 2. Situation:
Denke an erfolgreiche Mitarbeitende im Unternehmen. Welche Eigenschaften besitzen sie und welche Eigenschaften sollten neue Mitarbeitende definitiv mitbringen? - 3. Situation:
Stelle dir vor, du wirst gebeten, eine Laudatio über die All for One Group zu halten. Was ist in der Group wichtig und was macht das Unternehmen so einzigartig?
Grundsätzlich stand die Frage im Raum, ob es sich um bereits existierende Werte handeln sollte oder Unternehmenswerte, die wert- und sinnvoll für die Zukunft werden würden? Beides, hat das Projektteam entschieden. Denn auch Werte entwickeln sich mit dem Zeitgeist mit und gleichzeitig sollte die Werte-Basis, die bereits implizit im Unternehmen verbreitet war, erhalten bleiben und sichtbar gemacht werden.
4. Werte verdichten und gegenprüfen
Niemand hätte es gedacht, aber aus der Arbeit der Kleingruppen ergab sich eine Sammlung von ca. 200 Wert-Wörtern. Diese schiere Masse erschien am Anfang kaum zu konsolidieren. Mit sehr viel digitaler Disziplin und erneuter Kleingruppenarbeit, Diskussion, Verdichtung, Diskussion und der wichtigen Methode der Einwandsabfrage zum Konsententscheid fanden sich am Ende zwei Handvoll Unternehmenswerte.
Was nun? Von Anfang an war die Beteiligung weiterer KollegInnen immens wichtig für das Projektteam. Daher fanden Sounding Boards statt, welche einer möglichst diversen Gruppe von KollegInnen die bisherigen Ergebnisse präsentierten und durch 3 Fragen mit ihnen ins Gespräch über die Werte kamen:
- Was zeichnet erfolgreiche KollegInnen aus?
- Wie sind wir erfolgreich durch die Krise gekommen?
- Was macht unser Unternehmen einzigartig?
TIPP: Für ein erfolgreiches, digitales Sounding Tools wie Mentimeter nutzen, um alle mit einzubeziehen. Am Anfang über eine persönliche Werte-Frage den Bezug zum Thema herstellen, damit sich alle „geistig“ reinfinden können. Die Ergebnisse am Ende visuell festhalten und teilen:
Durch das wertvolle Feedback wurden die Werte weiter verdichtet, bis sich am Ende sieben Werte herauskristallisierten:
- Innovation
Wir sind innovativ und visionär und wir reagieren auf unsere Innovationen mit Agilität und Veränderungsbereitschaft. - Begeisterung
Wir arbeiten mit Begeisterung mit den KollegInnen zusammen und verstehen es, uns selbst und andere für unsere Arbeit / das Projekt / die Aufgabe zu begeistern. - Freiraum
Wir schaffen den nötigen Freiraum, sodass der Mitarbeitende sich frei entfalten, eigene Motivation entwickeln und mit Leidenschaft handeln kann. Wir behalten unterschiedliche Bedürfnisse im Blick und sind stolz auf unsere Einheit in der Vielfalt. - Kommunikation
Unsere Kommunikationskultur ist geprägt durch Offenheit und Transparenz. - Nachhaltigkeit
Wir wollen unser (zukünftiges) Handeln auf Nachhaltigkeit in Bezug auf Umwelt, Unternehmensstruktur, soziales Engagement und Chancengleichheit ausrichten. Wir haben die Auswirkungen unseres Tuns im Blick. - WE ARE ONE
WIR leben den Zusammenhalt in der Unternehmensgruppe, gewinnen und verlieren im Team und haben gemeinsam Spaß. WIR sind solidarisch und unterstützen uns gegenseitig. Unser Miteinander ist geprägt durch Respekt, Vertrauen und Wertschätzung. - Unternehmerische Haltung
Wir denken und handeln unternehmerisch, d. h. wir kennen die Unternehmensziele, haben diese im Fokus, handeln mit Verantwortung gegenüber unseren KundInnen, MitarbeiterInnen und dem Unternehmen.
5. Management ins Boot holen
Das Projekt war von Anfang an über HR an oberster Ebene aufgehängt. Trotz alledem war es immens wichtig, dass das gesamte Unternehmen einschließlich der Führung zu allen Werten steht. Daher wurde das Management Board ebenfalls zu den bereits verdichteten sieben Unternehmenswerten gesoundet. Durch das Vertrauen der Führung fanden alle sieben Werte die Zustimmung des obersten Boards und konnten unter Berücksichtigung ihres Feedbacks weiter ausformuliert werden.
6. Führungsleitlinien aus Unternehmenswerten ableiten
Als weitere Herausforderung sollten Handlungsmaximen für Führungskräfte entstehen. Denn ohne konkrete Anwendung und Verankerung im Unternehmensalltag würden die Werte versickern, so die Sorge. Durch offenes Brainstorming wurden in zwei getrennten Gruppen die Führungsleitlinien herausgeschält – jeweils in Bezug auf einen Unternehmenswert:
- Eine Gruppe bestand aus MitarbeiterInnen, die selbst keine Führungsaufgabe im Unternehmen hatten. Diese sollten aus der MitarbeiterInnen-Perspektive die Leitlinien entwickeln.
- Die zweite Gruppe bestand aus etablierten Führungskräften, die aus ihrer Erfahrung die Führungsleitlinien praxisnah definieren sollten.
Die Führungsleitlinien aus beiden Gruppen wurden am Ende zusammengeführt und erläutert, dann detaillierter beschrieben und wiederum mit dem Konsententscheid final ausgewählt.
7. Unternehmenswerte & Führungsleitlinien ins Unternehmen bringen
Mit einem digitalen „Event“ konnten in einer einstündigen Live-Session alle Mitarbeitenden die Ergebnisse der Projektgruppe gleichzeitig erleben und sich ab diesem Zeitpunkt in die Diskussion und Umsetzung einbringen.
- Als erster Schritt erfolgte eine MitarbeiterInnen-Umfrage, inwieweit die Werte schon gelebt werden. Dies dient als erster Anhaltspunkt für die Nachhaltigkeit.
- Des Weiteren wurden Werte-Monate ausgerufen, in denen ein kleines Team aus Management Board und Mitarbeitenden diverse Aktionen plant und ausrollt.
- Gleichzeitig wurde als Projektteam-Nachfolger die Embassy of Values gewählt: Interessierte MitarbeiterInnen aus dem ganzen Unternehmen übernehmen hier die weitere Steuerung der Umsetzungsmaßnahmen. Sie dient als Diskussionsforum und Ideengeber für weitere Aktionen, Wünsche und auch als Kritik-Aufnehmer der Mitarbeitenden. Als selbstorganisiertes Team treibt dieses Gremium eigenständig im Austausch mit dem gesamten Unternehmen das wichtige Thema Unternehmenswerte voran.
Fazit
Unternehmenskultur entsteht nicht über Nacht und lässt sich nur implizit verändern – wir haben dafür explizite Unternehmenswerte gewählt. Der Weg zur Akzeptanz dieser Unternehmenswerte und ihre Bedeutung im alltäglichen Unternehmensleben hängt am Ende von jeder und jedem Einzelnen ab. Aber durch die Sichtbarkeit von Werten und Führungsleitlinien ist ein Anfang geschaffen, um von hier ausgehend in eine rege Diskussion einzusteigen. Denn Unternehmenskultur ist trotz einheitlicher Unternehmenswerte geprägt von diversen Meinungen. Und das ist gut so.
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