Von HR HEUTE-Redaktion · 3 Minuten Lesezeit
Wenn Unternehmen mit Selbstständigen zusammenarbeiten, kann das für beide Seiten attraktiv sein. Solange keine Scheinselbstständigkeit vorliegt.
Kürzlich sorgte das Bayerische Landessozialgericht München mit einem Urteil für Aufsehen: Es verpflichtete den Betreiber eines Fitnessstudios dazu, rund 78.000 Euro an die Rentenversicherung nachzuzahlen. Denn mit 17 vermeintlich selbstständigen Fitnesstrainer*innen lag nach Ansicht des Gerichts offenbar doch eine sozialversicherungspflichtige abhängige Beschäftigung vor. Zwar wurden die Trainer*innen abhängig von ihren individuell geleisteten Zeiten bezahlt. Allerdings trugen sie kein unternehmerisches Risiko und waren in die Organisation des Fitnessstudios eingebunden. Und damit lag in diesem Fall eine Scheinselbstständigkeit vor.
Das Urteil rückt erneut einen rechtlichen Aspekt in den Fokus, der seit Jahren für Irritationen sorgt. Es geht um die Frage, welchen Status eine Person innehat, die Leistungen für ein Unternehmen erbringt. Ist sie abhängig beschäftigt und damit Arbeitnehmer*in? Ist sie in irgendeiner Form selbstständig? Oder ist sie – um die Angelegenheit noch komplizierter zu machen – eine arbeitnehmerähnliche Person? Sich darüber im Klaren zu sein, ist für Unternehmen essenziell. Denn anderenfalls können, wie im Fall des Fitnessstudios, schnell Nachzahlungen in erheblicher Höhe fällig werden. Bedauerlicherweise ist es nicht immer ganz leicht, diese Klarheit zu gewinnen. Insbesondere die Abgrenzung zwischen einer echten Selbstständigkeit und einer Scheinselbstständigkeit ist anspruchsvoll.
Normalfall „abhängige Beschäftigung“
Bei abhängig Beschäftigten ist die Sache unproblematisch: Zwischen der Arbeitnehmerin bzw. dem Arbeitnehmer auf der einen Seite und dem Arbeitgeber auf der anderen Seite wurde ein Arbeitsvertrag geschlossen, der alle relevanten Aspekte verbindlich regelt – etwa das Gehalt oder den Lohn, die wöchentliche Arbeitszeit und den Urlaubsanspruch. Die Beschäftigten sind fachlich und disziplinarisch weisungsgebunden, dürfen vertraglich fixierte Aufgaben nicht ablehnen und sind in der Regel persönlich arbeitspflichtig – Aufgaben an Dritte weiterzugeben geht also nicht. Außerdem bringen die Beschäftigten kein eigenes Kapital ein, nutzen die Betriebsmittel des Unternehmens und tragen kein unternehmerisches Risiko; sie erhalten im Krankheitsfall weiterhin ihr Gehalt oder ihren Lohn und haben (theoretisch) einen Anspruch darauf, Mehrarbeit vergütet zu bekommen. Gewissermaßen tauschen Arbeitnehmer*innen also Freiheit gegen Sicherheit. Damit geht auch einher, dass die Arbeitgeber dafür verantwortlich sind, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge korrekt abzuführen. Und: Knapp die Hälfte der gesamten Sozialversicherungsbeiträge tragen die Arbeitgeber.
Selbstständigkeit – nur echt mit diesen Zeichen
Konstitutiv für Selbstständige ist, dass sie diese typischen Eigenschaften von Arbeitnehmer*innen nicht erfüllen. Sondern genau das Gegenteil. Sie bringen ihr eigenes Kapital ein, verfügen über eigene Betriebsmittel und beschäftigen eventuell Mitarbeitende. Und natürlich tragen sie das vollständige unternehmerische Risiko. Was auch umfasst, den steuerlichen Verpflichtungen nachzukommen und natürlich auch Sozialversicherungsbeiträge abzuführen.
Selbstständige sind als Auftragnehmer mit Unternehmen als Auftraggeber über einen Dienst- oder Werkvertrag verbunden – was ein kleiner, aber feiner Unterschied ist. Im Dienstvertrag ist geregelt, in welchem Umfang der Auftragnehmer welche Leistung für den Auftraggeber erbringen muss und welche Vergütung er dafür erhält. Der Erfolg spielt dabei keine Rolle, ist häufig auch gar nicht direkt messbar. Wenn HR-Abteilungen beispielsweise eine Trainerin damit beauftragen, einmal in der Woche die Führungskräfte zu coachen, wird dafür typischerweise ein Dienstvertrag geschlossen. Beim Werkvertrag dagegen geht es ausschließlich um das Ergebnis. Um einen geschriebenen Text für die Karriereseite, um das Layout eines Flyers für die Job-Messe oder um ein Employer-Branding-Video. Vergütet wird das Werk, unabhängig vom Umfang der Leistung.
Scheinselbstständigkeit – in die Falle getappt
Menschen, denen ihre Freiheit wichtiger als ihre Sicherheit ist, die sich von unternehmerischen Risiken nicht abschrecken lassen, sondern von unternehmerischen Chancen angezogen werden, entscheiden sich ganz bewusst für die Selbstständigkeit. Und auch für Unternehmen ist es aus verschiedenen Gründen attraktiv, zum Teil mit Selbstständigen zusammenzuarbeiten. So erhalten sie Zugriff auf Fähigkeiten und Kenntnisse, die sie nur punktuell benötigen. Außerdem können sie mit externer Unterstützung Auftragsspitzen abfangen. Und sie umgehen die Notwendigkeit, Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten.
Allerdings: Nicht jedes als solches deklarierte Auftragnehmer-Auftraggeber-Verhältnis ist tatsächlich auch eines. Allein die Tatsache, dass ein Dienstvertrag oder ein Werkvertrag besteht, reicht jedenfalls nicht aus. Selbstständige müssen auch selbstständig agieren – mit eigenem Kapital und eigenen Betriebsmitteln, ohne fachlich oder disziplinarisch weisungsgebunden zu sein. Ist das nicht (mehr oder weniger umfänglich) gegeben, ist der vermeintliche Dienstvertrag oder Werkvertrag eigentlich ein Arbeitsvertrag. Und damit besteht für den Arbeitgeber dann auch die Pflicht, Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Passiert das nicht, sind die Beteiligten auf beiden Seiten in die Scheinselbstständigkeitsfalle getappt.
Keine klaren Kriterien
„In die Falle getappt“ vor allem auch deshalb, weil sich beide Seiten oft gar nicht der heiklen Situation bewusst sind. Denn: Zwar ist abstrakt definiert, was eine abhängige Beschäftigung bzw. eine Selbstständigkeit auszeichnet. Es fehlen aber konkrete Vorgaben dafür, wie sich der Status einer Person einwandfrei beurteilen lässt. Das liegt zum einen daran, dass die Kriterien selbst reichlich diffus sind. Beispielsweise ließe sich lange darüber diskutieren, wann Auftragnehmer weisungsgebunden sind: Wenn die HR-Abteilung der Trainerin vorgibt, welche Inhalte sie im Coaching vermitteln soll? Oder erst dann, wenn sie auch auf eine bestimmte Art der Vermittlung dieser Inhalte festgelegt wird? Ähnlich ist es beim unternehmerischen Risiko: Besteht zum Beispiel für einen Grafiker, der sehr viel für ein und dasselbe Unternehmen arbeitet, kein unternehmerisches Risiko? Und macht es einen Unterschied, ob er nur für die HR-Abteilung arbeitet oder für mehrere Fachbereiche? Zum anderen ist auch nicht klar, wie viele Kriterien in welchem Maß erfüllt sein müssen, damit eine Person nicht mehr als selbstständig gilt.
Die rechtliche Regelung sieht hier eine Gesamtwürdigung vor. Was in der Konsequenz bedeutet, dass jeder Fall einzeln betrachtet werden muss. Glücklicherweise werden HR-Abteilungen damit nicht allein gelassen. Die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung bietet ein Statusfeststellungsverfahren an, über das Unternehmen eine Entscheidung bezüglich des Status des Erwerbstätigen anfordern können. Wichtig dabei: Die Entscheidung bezieht sich lediglich auf die aktuelle Situation. Oft ändert sich das Verhältnis zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber aber im Laufe der Zeit. Wenn die Trainerin nicht mehr nur einmal, sondern mehrmals pro Woche coacht, bis sie irgendwann täglich zu festen Zeiten für alle Mitarbeitenden ansprechbar ist. Oder wenn aus dem einen Text für die Karriereseite die kontinuierliche Unterstützung bei allen redaktionellen Aufgaben geworden ist – inklusive der Nutzung des Content-Management-Systems des Unternehmens.
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