Tschüss Arbeitnehmermarkt?
Von HR HEUTE-Redaktion · 2 Minuten Lesezeit
Wegen der Konjunktur steigen die Arbeitslosenzahlen. Weshalb wir es dennoch weiterhin mit einem Arbeitnehmermarkt zu tun haben und wie HR handeln kann.
BA-Chefin Andrea Nahles klingt besorgt: „Der Arbeitsmarkt bekommt nicht den Rückenwind, den er für eine Trendwende bräuchte; daher rechnen wir für den Sommer auch mit weiter tendenziell steigenden Arbeitslosenzahlen.“[1] Also Entwarnung im Recruiting? Wandelt sich der Arbeitnehmermarkt zum Arbeitgebermarkt? Können Unternehmen die Zügel im Personalmarketing schleifen lassen? Unsere Antwort: ein klares Nein.
Die aktuelle Lage
Mit über 2,9 Millionen lag die Zahl der Arbeitslosen im Mai 2025 knapp unter der 3-Millionen-Marke und damit um 197.000 höher im Vergleich zum Vorjahresmonat. Vor allem in Schlüsselbranchen wie der Automobilindustrie fallen Stellen weg. So ist bei VW in Deutschland bis 2030 jeder vierte Arbeitsplatz betroffen.[2] Der Zulieferer ZF Friedrichshafen plant, die Belegschaft bis 2028 um 14.000 Mitarbeitende zu kürzen.[3] „Der verhältnismäßig geringe Stellenabbau im vergangenen Jahr ist nur der Anfang eines schmerzhaften, aber unabwendbaren Schrumpfungsprozesses“, sagt EY-Autoexperte Constantin Gall. In einer aktuellen IW-Umfrage rechnen 35 Prozent der Unternehmen mit Stellenstreichungen.[4]
Geschwächter Arbeitnehmermarkt?
Angesichts von weniger Jobangeboten bzw. mehr Arbeitssuchenden verschiebt sich das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern tendenziell zugunsten der Unternehmen. Sie können also Glück haben und einen dringend benötigten Softwarespezialisten oder eine Teamleiterin HR auf dem Markt finden, statt sie über Active Sourcing zum Wechsel zu bewegen. Außerdem spielt Ihnen die Situation beim Retention Management in die Karten: Kolleginnen und Kollegen wissen einen sicheren Arbeitsplatz möglicherweise wieder mehr zu schätzen. Diese Momentaufnahmen sollten allerdings den Blick auf die Gesamtsituation und die Zukunft des Arbeitsmarkts nicht verstellen; sie ist nach wie vor dramatisch.
Demografischer Wandel begünstigt Arbeitnehmermarkt
Die Demografie, so Enzo Weber, Professor am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Wirtschaftsforschung, schere sich nicht um konjunkturelle Schwankungen: „Über die Alterung verlieren wir in den kommenden 15 Jahren sieben Millionen Arbeitskräfte, weil große Generationen in Rente gehen und nur kleine Generationen nachkommen.“[5] Zwar bedingen besonders die aktuell schwache Konjunktur und der strukturelle Wandel der Wirtschaft die hohe Arbeitslosigkeit, sprich: sehr viele Arbeitssuchende. Dennoch haben wir in Summe viel zu wenig Arbeitskräfte, denn nicht nur zwischen den Qualifikationen der Arbeitslosen und den Anforderungen der offenen Stellen besteht eine Diskrepanz:
Alles was Sie zum „Fachkräftemangel“ wissen müssen
Fachkräftemangel? Arbeitskräftemangel? Recruiting-Problem? Branchen-Phänomen? Die wichtigsten Fakten und Definitionen auf einen Blick.
- Die Anforderungen der Unternehmen und die Qualifikation der Bewerbenden stimmen nicht überein. „So fehlen beispielsweise in der Automobilindustrie hochqualifizierte Fachkräfte, insbesondere im IT-Bereich, die für die digitale Transformation der Branche unerlässlich sind.“[6]
Wirtschaftliche Lösung für Vielfalt im Unternehmen
Der Fachkräftemangel in der IT macht sich überall bemerkbar. Vielfach unterschätzt im Recruiting: Quereinsteigerprogramme. So profitieren beide Seiten.
- Auch regionale Diskrepanzen erschweren die Stellenbesetzung. So ist die Nachfrage nach Arbeitskräften im Süden Deutschlands hoch, während Menschen in strukturschwächeren Bundesländern oder Ballungszentren wie dem Ruhrgebiet nur schwer Arbeit finden. Eine Abwärtsspirale vor allem in ländlichen Gebieten: Junge Menschen ziehen für Ausbildung oder Studium weg und kommen als qualifizierte Arbeitskräfte nicht mehr zurück; die Regionen werden dadurch ökonomisch zusätzlich geschwächt.
Handlungsoptionen für HR
Schon ein Blick auf Ihre offenen Stellen dürfte Sie davor bewahren, sich in falscher Sicherheit zu wiegen. Eine allgemein hohe Arbeitslosenquote hilft Ihnen vor Ort bei der Stellenbesetzung nicht weiter. Regional oder in Bezug auf bestimmte Qualifikationen kann sich der Wettbewerb sogar verschärfen. „Weshalb haben wir die Stelle nicht längst besetzt? Es suchen doch gerade viele Leute.“ Sie wissen nun, dass dieses Argument nicht zieht. Lassen Sie sich nicht beirren:
- Pflegen Sie Ihre Arbeitgebermarke und bemühen Sie sich um eine gute Unternehmenskultur. Ein umsichtiges Retention Management bewahrt Sie davor, dass sich Ihre besten Mitarbeitenden abwerben lassen.
- Intensivieren Sie Ihr Personalmarketing. Passende Kandidatinnen und Kandidaten sind weiterhin rar und nur schwer zu identifizieren. Eine starke Arbeitgebermarke kann Talente mobilisieren. Tun Sie sich mit Unternehmen aus der Region, mit Wirtschaftsverbänden, Verwaltung und Politik zusammen. Standortmarketing kann Fachkräfte dazu veranlassen, in eine über den Arbeitsplatz hinaus attraktive Gegend zu ziehen.
Externer Link:
Mit Lösungen wie SAP SuccessFactors Recruiting und Onboarding schaffen Unternehmen eine überzeugende Candidate Experience und erleichtern den Einstieg neuer Mitarbeitender.
Fazit
[1] https://www.arbeitsagentur.de/news/arbeitsmarkt
[2] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/Stellenabbau-bei-VW-20000-Mitarbeiter-stimmen-Job-Verzicht-zu,vw6604.html
[3] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/entlassungen-jobverluste-altersregelungen-wirtschaft-li.3255597? (Paywall)
[4] Ebd.
[5] https://www.wiwo.de/politik/konjunktur/fachkraeftemangel-die-altersgrenze-muss-raus-aus-den-koepfen/100123984.html
[6] https://www.gfl-broker.de/2025/01/fachkraeftemangel-trotz-arbeitslosigkeit-wie-kann-das-sein/Hören und lesen Sie mehr zum Thema
Teilen