Kündigungsgründe erkennen und gegensteuern
Von HR HEUTE-Redaktion · 4 Minuten Lesezeit
Nur selten kündigen Mitarbeitende aus heiterem Himmel. Mit Retention Management begegnen Sie Kündigungsrisiken gezielt.
Scheiden tut weh – und kostet. Das Unternehmen verliert mindestens die Hälfte, nach anderen Schätzungen sogar das Anderthalbfache des Jahresgehaltes eines scheidenden Mitarbeiters. Neben den direkten Aufwänden für das Recruiting fallen indirekte Kosten etwa durch Produktivitäts- und Wissensverlust sowie Auswirkungen auf das Team an. Im Folgenden erfahren Sie, wo Sie im Rahmen Ihres Retention Managements ansetzen können, um teuren Kündigungen vorzubeugen.
1. Vertrauen Stärken
„Deutschland macht Dienst nach Fortschritt“, heißt es im aktuellen Gallup Engagement Index[1]. Das gelte für nahezu vier Fünftel der Mitarbeitenden. Nur die Hälfte sieht sich in einem Jahr noch beim derzeitigen Arbeitgeber. Das ist unter anderem auf die wirtschaftliche Lage zurückzuführen. Viele Beschäftigte haben das Vertrauen in die finanzielle Zukunft ihres Unternehmens verloren. Diese Einschätzung „dient als Indikator für die wirtschaftliche Stimmung im Land, da Mitarbeitende unmittelbar wahrnehmen, ob ihr Unternehmen beispielsweise Aufträge gewinnt, investiert oder Stellen ausschreibt“. Von 55 Prozent im Pandemiejahr ist der Anteil der zuversichtlichen Mitarbeitenden im vergangenen Jahr auf 34 Prozent gesunken. Das entspricht dem Wert des Banken- und Finanzkrisenjahrs 2008. Noch schlechter ist es um das Vertrauen in die Vorgesetzten bestellt, das auf 21 Prozent gefallen ist. Dabei hängen diese Aspekte zusammen: Über die Führungskräfte erfahren die Mitarbeitenden, wie das Unternehmen wirtschaftlich dasteht. Glaubwürdig Sicherheit vermitteln können sie nur, wenn ihnen die Kolleginnen und Kollegen vertrauen.
„Führungskräfte müssen ihre Beschäftigten nicht nur mitnehmen, sondern aktiv zum Mitmachen bewegen. Wer erlebt, dass seine emotionalen Bedürfnisse bei der Arbeit kontinuierlich erfüllt werden, ist eher bereit, auch herausfordernde Wege mitzugehen.“
Gallup Engagement Index[2]
Gerade in Krisenzeiten spielen die direkten Vorgesetzten eine immense Rolle. Sie müssen transparent und nachvollziehbar vermitteln, wie das Management die Organisation durch die nächsten Monate führen will, und auch Risiken klar aufzeigen. Fehlende Kommunikation, Mikromanagement und mangelnde Beachtung jedes und jeder Einzelnen vergiften die Beziehungen und zerstören Vertrauen.
Retention Management: Tipp 1
Setzen Sie bewusst bei Ihren Führungskräften an. Entwicklungsprogramme und Coachings für die internen Multiplikatorinnen zählen zu den effektivsten Maßnahmen im Retention Management. Gute Führungskräfte zeichnet nicht nur fachliche Kompetenz, sondern auch emotionale Intelligenz aus. Am besten, die angehenden Führungskräfte bringen diese bereits mit. Doch lässt sich emotionale Intelligenz auch trainieren.
In einer aktuellen Studie[3] konnte nachgewiesen werden, dass gezielte Online-Interventionen bereits in wenigen Wochen die Fähigkeit von Führungskräften steigern, auf ihre Mitarbeitenden einzugehen. Die Teilnehmer der Studie erhielten täglich zwei SMS mit Übungen, die nicht länger als 20 Minuten dauerten. Mitgefühlsmeditationen und ein Dankbarkeitstagebuch rundeten das Programm ab.
2. Unternehmenskultur pflegen
Es ist zehnmal wahrscheinlicher, dass Mitarbeitende wegen einer toxischen Unternehmenskultur statt wegen der Vergütung kündigen.[4] Auch, wenn Mitarbeitende nicht wie bei Tesla mit Hausbesuchen rechnen müssen, wenn sie sich krank melden[5], oder andere eklatante Missstände den Kolleginnen und Kollegen den Arbeitsplatz zur Hölle machen, könnte es Anlass zu Unzufriedenheit geben:
- Unternehmenswerte werden nicht gelebt.
- Mitarbeitende fühlen sich nicht wertgeschätzt. Sie werden bevormundet, statt sich frei entfalten zu können.
- Es wird mehr über- als miteinander geredet.
Mangelnde Diversität oder eine schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Erweitern Sie die Liste gerne mit Ihren unternehmensindividuellen Pain Points, falls vorhanden und bekannt.
Führung, Unternehmenskultur und Talent Management
Führungskräfte müssen Unternehmenskultur und Talent Management leben und Vorbilder sein. Aber was brauchen Führungskräfte, um das zu erreichen?
Retention Management: Tipp 2
Regelmäßige Mitarbeiterbefragungen haben sich als Mittel bewährt, um mehr über die eigene Unternehmenskultur zu erfahren. Allein schon, weil sie um ihre Einschätzung gebeten werden, fühlen sich die Mitarbeitenden wertgeschätzt und gesehen. Als HR-lerin erkennen Sie Optimierungspotenziale. Sie steigern die Bindung, indem Sie auf der Grundlage der Erkenntnisse an der Unternehmenskultur arbeiten. Ein No-Go: die Ergebnisse der Umfrage unter den Teppich kehren.
3. Transparent bezahlen
Das Mediangehalt liegt in Deutschland aktuell bei 45.800 Euro.[6] Die Aussicht auf ein höheres Gehalt ist für viele wechselwillige Arbeitnehmer ein ausschlaggebender Faktor. Die Attraktivität anderer Arbeitgeber können Sie kaum beeinflussen, wohl aber die Zufriedenheit im eigenen Unternehmen. Diese hängt weniger vom Gehalt per se ab, sondern vielmehr vom Gehaltsgefüge. Mitarbeitende reagieren empfindlich darauf, wenn sie das Gefühl haben, ungerecht behandelt zu werden und sie Gehaltsunterschiede nicht nachvollziehen können. Auch der Eindruck, nicht weiterzukommen, wirkt demotivierend. Besonders junge Menschen fackeln nicht lange, wenn bei einem anderen Arbeitgeber ein höheres Gehalt winkt.[7]
Retention Management: Tipp 3
Bieten Sie Ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit, ihr Gehalt durch ihre Leistung zu beeinflussen. Eine Altersstaffelung bzw. Gehaltsstufen, die sich ausschließlich nach der Betriebszugehörigkeit richten, überzeugen gerade die Jüngeren nicht. Marktgerechte, transparente Gehaltsmodelle und -bänder steigern die Zufriedenheit mit dem aktuellen Job. Zusatzleistungen, die einen echten Mehrwert bieten, runden das Gesamtpaket ab.
4. Aufgaben und Weiterentwicklung
Eine aktuelle Studie untersucht den hohen Anteil der Mitarbeitenden, die bereits im ersten Jahr kündigen.[8] Dabei deckt sie eine verhängnisvolle Diskrepanz auf:
- Mehr als ein Drittel der Mitarbeitenden nennen fehlende Weiterbildungsangebote als Kündigungsgrund.
- Den Führungskräften scheint das durchaus bewusst, denn 37 Prozent nennen diesen Faktor.
- Anders die HR-Verantwortlichen: Nicht einmal ein Fünftel (18 Prozent) zieht in Erwägung, dass die Kolleginnen und Kollegen das Unternehmen wegen mangelnder Weiterbildungsmöglichkeiten verlassen.
Retention Management: Tipp 4
Setzen Sie, wenn möglich, gemeinsam mit Ihren Mitarbeitenden individuelle Entwicklungspläne auf. So überblicken Sie, wohin die Kolleginnen und Kollegen wollen und inwiefern Sie mit Blick auf Ihre Personalplanung darauf eingehen können. Denken Sie auch über Job Enlargement, Job Enrichment und Job Rotation nach, um die Aufgaben interessant zu halten.
Retention Management und Fluktuation
Die wesentlichen Ansatzpunkte, um Mitarbeitende zu binden, kennen Sie nun. Je besser das Gesamtpaket passt, desto weniger sind sie geneigt zu kündigen. Lassen Sie uns abschließend einen kurzen Blick auf das strategische Retention Management werfen:
- Die Bleiberate misst, wie viele Kolleginnen und Kollegen nach einer definierten Zeit noch da sind. Um mit der Kennzahl arbeiten zu können, ermitteln Sie diese sinnvollerweise für einzelne Bereiche. Dabei sollten Sie auch die Mitarbeitenden einbeziehen, die innerhalb des Unternehmens gewechselt haben, da diese in der Gesamtbetrachtung schließlich bei Ihnen geblieben sind.
- Versuchen Sie herauszufinden, weshalb die Mitarbeitenden gehen. Möglicherweise kristallisieren sich in verschiedenen Bereichen unterschiedliche Optimierungspotenziale heraus. Außerdem sagt nicht jede Kündigung etwas über das Unternehmen aus. Neben persönlichen Gründen wie Umzügen oder eine berufliche Neuorientierung können auch Wettbewerber mit besonders attraktiven Angeboten oder gezielte Abwerbungen Kündigungen motivieren.
- Ermitteln Sie, wo Kündigungen besonders riskant fürs Unternehmen wären:
- Auf welche Personen mit ihrem Know-how könnten Sie nur schwer verzichten?
- In welchen Bereichen wären Kündigungen besonders folgenreich und Neubesetzungen schwierig?
- Welche wichtigen Kompetenzen sind nur auf wenige Köpfe verteilt?
[1] Gallup Engagement Index Deutschland 2024, Seite 4.
[2] Ebd. Seite 26.
[3] https://wirtschaftspsychologie-aktuell.de/magazin/fuehrung/mit-emotionaler-intelligenz-besser-fuehren?
[4] https://www.wiwo.de/erfolg/management/mitarbeiterbindung-eine-toxische-unternehmenskultur-ist-die-ursache-fuer-kuendigungswellen/29361140.html
[5] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/tesla-hausbesuche-krankschreibungen-100.html
[6] Stepstone: Gehaltsreport 2025, Seite 4.
[7] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/arbeitsmarkt/gen-z-jobwechsel-100.html
[8] https://www.boersenblatt.net/news/jeder-vierte-neue-mitarbeiter-ist-nach-einem-jahr-wieder-weg-335169Hören und lesen Sie mehr zum Thema
Teilen