Person in Regenmantel blickt von Anhöhe auf Haarnadelkurve

Trotz lauter Krisen den Überblick behalten

HR-Trends 2023 – Personalarbeit, weit weg von langweilig

2023 wird der Personalabteilung erneut Krisenfestigkeit abverlangen. Worauf sich HR noch einzustellen hat, erfahren Sie in unseren HR-Trends 2023.

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HR-Trends 2024 - es wird kompliziert

2024 wird herausfordernd. Gesellschaftliche Polarisierung und wirtschaftliche Herausforderungen treffen auf interne Kulturkonflikte und technologischen Wandel.

Aktuell gilt das Motto „Nach der Krise ist vor der Krise“: Unsere letzten HR-Trends schlossen mit dem Wunsch, dass die Pandemie doch bitte nicht auch das Jahr 2022 dominieren möge. Das hat soweit geklappt … Dass das vorherrschende Thema ein Krieg in Europa und seine Folgen sein würde, hat sich so allerdings niemand vorgestellt.

Vor vielen Jahren habe ich in der Sierra Nevada einmal einen Bergführer getroffen, der mir beim Abschied einen Rat fürs Leben mitgab: „Sei vorsichtig mit deinen Wünschen.“ Das werde ich für die HR-Trends 2023 beherzigen. Besser ist das!

HR-Trend 1: Hohen Gehaltserwartungen mit attraktiven Alternativen begegnen

Inflation, steigende Lebenshaltungskosten und Energiepreise treiben die Gehaltserwartungen der Beschäftigten in die Höhe, welche durch die aktuellen, signifikanten Tarifabschlüsse u. a. von IG Metall und in der Chemie- und Pharmaindustrie zusätzlich befeuert werden und auch auf den außertariflichen Bereich ausstrahlen.   

Arbeitgeber sind in Zugzwang, doch da viele gleichzeitig mit Unsicherheit bzgl. der eigenen Geschäftsentwicklung zu kämpfen haben, sind viele auf der Suche nach einem Mittelweg, der weder die Mitarbeitenden enttäuscht oder vergrault, noch die eigene Substanz gefährdet. 

Viele setzen erst mal auf die Nutzung der steuerfreien Inflationsausgleichsprämie. Aber auch die muss bezahlt werden, kommt aber zumindest voll bei den Mitarbeitenden an und verschafft erst einmal etwas Luft. Die maximal möglichen 3.000 € pro Person können bis Dezember 2024 nach eigenen Kriterien verteilt werden, z. B. abhängig von Firmenwagen, Gehaltshöhe etc. Wir empfehlen, Einschränkungen aber gut zu begründen, um nicht am Ende genauso viele Mitarbeitende zu verärgern wie sich freuen.

Darüber hinaus ist Kreativität gefragt, Mitarbeitende zu binden, ohne die unternehmerische Substanz zu gefährden. Sollte sich für 2023 eine ungünstige Auftragslage abzeichnen, könnte der „relative Lohn pro Arbeitsstunde“ auch durch mehr Urlaub oder eine Arbeitszeitreduzierung bei gleichem Gehalt erreicht werden. Bedeutet zwar keine Reallohnsteigerung, kann aber für viele, zumindest Besserverdienende, trotzdem eine reizvolle Alternative sein. Börsennotierte Unternehmen könnten ein längerfristiges Aktien-Incentive aufsetzen.

Aber auch Maßnahmen, die sich gar nicht auf den Gehaltszettel auswirken, helfen dabei, Mitarbeitende zu binden. Denn nicht für jeden sind die Inflationsraten wirklich ein Problem, sodass „weiche“ Faktoren wie Weiterbildung, Karriereperspektiven, zeitliche und räumliche Flexibilität etc. als Argumente wichtig bleiben.

HR-Trend 2: Maßnahmen zur systematischen Arbeitszeiterfassung treffen

Als hätte HR nicht schon genügend Unsicherheiten zu managen, gesellt sich 2023 noch ein weiteres Thema hinzu: die Arbeitszeiterfassung

Fakt ist, dass der Gesetzgeber seit dem BAG-Urteil im September 2022 nun schleunigst das EuGH-Urteil von 2019 in nationales Recht umsetzen muss. Heißt für die Praxis: Arbeitgeber werden sich um die systematische Erfassung von Arbeitszeit kümmern müssen, welche gemäß EuGH verlässlich, objektiv und leicht zugänglich sein muss. Wie das Arbeitszeiterfassungsgesetz aber ganz konkret ausgestaltet sein wird, ist weiterhin unklar. 

Die Herausforderung von HR besteht darin, sich trotzdem schon jetzt entsprechend vorzubereiten, denn laut BAG besteht eine solche Zeiterfassungspflicht schon heute. Bei Konflikten ist es daher äußerst wahrscheinlich, dass Arbeitgeber mit Verweis auf das BAG-Urteil schon jetzt in etwaigen Gerichtsverfahren unterliegen werden. 

Unsere Empfehlungen daher: 

  • Vorhandene Zeiterfassungssysteme lieber erst mal nicht abschaffen.
  • Das bestehende Zeiterfassungssystem ggfs. für alle Mitarbeitergruppen nutzen bzw. ausrollen.
  • Bei Neuanschaffung auf zeitgemäße und flexible Cloud-Lösungen setzen und im Hinterkopf behalten, dass die Zielgruppe vermutlich „jeder“ sein wird (Stichwort: mobile Erfassung & Co). 
  • Falls (noch) kein Zeiterfassungssystem im Einsatz ist, zunächst eine Selbstaufzeichnung der Arbeitszeit durch die Mitarbeitenden veranlassen.

Wobei … die Empfehlungen auf der Hoffnung beruhen, dass der Gesetzgeber nicht irgendwelche altertümlichen Verfahren festschreibt, scheint er doch eine gewisse Papieraffinität zu haben. Nicht, dass es wieder so ähnlich kommt wie mit dem Nachweisgesetz, das in 2022 quasi das Aus von digitalen Unterschriften bedeutet hat.

Dabei wollte ich doch mit meinen Wünschen für 2023 vorsichtig sein.

HR-Trend 3: Innovation fördern durch internen Kompetenzaufbau und agile Aufgabenverteilung

Angesichts von Fachkräftemangel, drohender Rezession und der möglichen Gefahr von Einstellungsstopps steht HR in 2023 vor einer zentralen Frage: Wie Innovation garantieren, wenn von außen weniger „frisches Blut“ in das Unternehmen fließt? Und Innovation ist nun mal der Treibstoff für zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. Wird dieser so knapp wie aktuell das Gas, dann Prost Mahlzeit. 

Kreativität ist gefragt, um mehr herauszuholen aus dem, was man hat, ohne die Organisation zu überfordern. 

2023 wird daher im Zeichen von betrieblicher Weiterbildung stehen. Insbesondere mit Fokus auf internem und informellem Kompetenzaufbau und Wissenstransfer, denn externe Weiterbildungsbudgets werden in Krisen oft als erstes gekürzt (ähnlich wie Reisekosten). 

Zunehmende Bedeutung gewinnt das Thema Mikro- oder Nano-Learning, also das Vermitteln von Wissen in kleinen, mundgerechten Häppchen, quasi als Lern-Snack zwischendurch. Damit verbunden auch das Thema mobiles Lernen, z. B. via App. Schnell, kurz, individuell, kontinuierlich und unterhaltsam lautet also die Devise beim Thema Learning. 

Dazu passen zunehmend modularer aufgebaute Schulungen, sodass verschiedene Zielgruppen und Erfahrungsstände nur das besuchen müssen, was ihnen fehlt. Also z. B. nicht eine Woche Projektmanagement, sondern kürzere Einheiten wie „Planung“, „Reporting“ oder „Stakeholder-Kommunikation“.

Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass Unternehmen auch wieder häufiger interne Jobrotation oder eine Art Jobsharing nutzen, um Innovation und Kreativität zu fördern, bzw. Stellen noch mehr an den Stärken, Kompetenzen und Präferenzen der Mitarbeitenden ausrichten. 
So hören wir zuletzt wieder verstärkt, dass Mitarbeitende beispielsweise nur zu 70% ihren eigentlichen Kernjob machen und ihre Stärken zu 30% an anderer Stelle einbringen, z. B. in speziellen Task Forces. Und andere wiederum sind mit ihren spezifischen Kenntnissen und Vorlieben der ergänzende Counterpart. Erfordert gute Kommunikation, Koordination und vernetztes Denken, ist aber machbar. 

Das Resultat: agilere Aufgabenverteilungen und „fluidere“ Stellenbeschreibungen, die den Unternehmensanforderungen und volatilen Rahmenbedingungen gerechter werden und vielleicht sogar helfen, Entlassungen zu verhindern. 

HR-Trend 4: Mit Emotionen und dem Bewusstsein für das Individuum Resilienz stärken

Mit Beginn der Pandemie wurde Resilienz allgemein auf eine harte Probe gestellt: Kurzarbeit, Remote Work und Homeoffice, ad hoc Digitalisierung von Arbeitsprozessen, Logistikprobleme, Lieferengpässe usw. Und außerhalb des Arbeitsplatzes ging es weiter mit Homeschooling, Quarantäne, Kontaktverboten etc.  

Durchschnaufen? Fehlanzeige, denn seit Februar 2022 befindet sich die Welt wieder im Ausnahmezustand und beschert Unternehmen wie Mitarbeitenden viel Unsicherheit. Teilweise sogar noch stärker, wenn etwa unsere Kollegen in Österreich feststellen, dass die ukrainische Grenze näher bei Wien liegt als Bregenz/Bodensee. Auf einmal ist Krieg, den die meisten von uns glücklicherweise nur aus dem Fernsehen kennen und mit weit entfernten Krisengebieten verbinden, verdammt nah dran. 

2023 wird daher aus unserer Sicht auch im Zeichen von Resilienzstärkung stehen. Etwa durch Auf- oder Ausbau eines breitgefächerten Gesundheitsmanagements seitens der Unternehmen mit Angeboten zu Sport, Entspannung, Ernährung etc. 

Es gibt aber kein Patentrezept, kein One-size-fits-all-Modell für Resilienz. Jeder Mensch geht anders mit Krisen um, für jeden gibt es andere Stressoren. HR und Führungskräfte werden gefragt sein, mehr Bewusstsein für das Individuum zu schaffen und noch individueller auf die/den Einzelne/n einzugehen. 

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Empathische Führung

Studien zeigen, dass empathische Führung direkt mit Mitarbeiterbindung zusammenhängt. Was zeichnet den Führungsstil aus und wie kann er im Alltag gelingen?

Dazu gehört, dass HR und Führungskräfte jederzeit ein offenes Ohr für ihre Mitarbeitenden haben, aktiv auf sie zugehen und die Bereitschaft zeigen, bei Bedarf auch noch persönlichere Gespräche mit Mitarbeitenden zu ihren Sorgen und Nöten zu führen. Und das erfordert wiederum, einen neuen Zugang zu Emotionen zu finden sowie das Führungsverständnis generell zu überdenken. 

Vorbei sind die Zeiten, in denen Führungskräfte unbeirrt und mit (fast) allen Antworten im Gepäck voranschritten. Diesen Führungs(irr)glauben auch heute noch aufrechterhalten zu wollen, wäre fatal. 

Heute versammeln Führungskräfte Menschen hinter sich, indem sie menschlich und nahbar sind. Eigene Emotionen zu zeigen und gleichzeitig zu regulieren ist daher essenziell für moderne Führung. Genauso, wie den Mitarbeitenden deren Emotionen zuzugestehen und diese dann auch „auszuhalten“. 

HR wird daher eine wichtige Rolle zuteil, sich selbst, Führungskräfte, Mitarbeitende und dadurch auch die Unternehmenskultur auf ein gesundes Maß bzw. ein Mehr an Emotionen vorzubereiten. 

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HR-Trend 5: Burn-out und Lethargie im HR – von Austausch, Change und Selbstverständnis

Last but not least richtet sich Trend 5 an den Personalbereich selbst, denn Pandemie und aktuelles Wirtschaftsgeschehen haben auch ihm zugesetzt: Kurzarbeit organisieren, Regeln und Rahmenbedingungen für Remote Work schaffen, Maßnahmen aus dem Infektionsschutzgesetz umsetzen, Expatriates aus dem Ausland zurückholen und jetzt vielleicht wieder Kurzarbeit, Einstellungsstopps, Lücken mit Personal aus dem Ausland stopfen. Die Liste der außergewöhnlichen To-dos reißt nicht ab. 

Umso wichtiger, dass HR seine eigene „Burn-out-Phase“ überwindet. HR hat eine Vorbildfunktion. Geht es HR schlecht, hat dies Auswirkungen auf die gesamte Organisation. Und insbesondere wenn der Personalbereich klein ist, besteht die Gefahr, dass man sich gegenseitig mit negativen Gefühlen und einer Weltuntergangsstimmung ansteckt. 

Wir sehen den Schlüssel hier darin, neue Inspiration zu suchen. Die Fühler auszustrecken und offen für frische Ideen von innen und außen zu sein. Gerade wenn es um Prozessfragen geht, um die zukünftige Ausrichtung der Personalarbeit, um neue Ansätze. Abteilungsübergreifende Kooperationen können schon viel bewirken: Was, wenn sich das Recruiting beispielsweise noch stärker Methoden aus dem Online-Vertrieb zu eigen macht? Oder wenn sich HR regelmäßig mit Onboardees, Young Professionals, neuen wie gestandenen Führungskräften und weiteren Stakeholdern zu HR-Themen, KPIs etc. austauschen würde? Ein bereichsübergreifender Perspektivwechsel kann wichtige, neue Impulse generieren. Und so vielleicht auch den ein oder anderen „historisch gewachsenen“ Prozess oder Zuständigkeitszuschnitt auf den Prüfstand stellen. 

Es gilt, den leider teilweise noch immer vorzufindenden Grabenkampf zwischen HR-Business-Partnern und Personalsachbearbeitern aufzulösen. Die endlose Diskussion, wer von beiden welche Aufgaben exklusiv macht und ob es überhaupt ein solches Exklusivrecht gibt. Es gilt, ein gemeinsames Verständnis zu schaffen: Shared-Services, HR Business Partner und Center of Excellence – oder wie auch immer die Personalabteilung organisiert ist – sind nur gemeinsam erfolgreich und nur dann, wenn sie alle zusammen das Unternehmen ganzheitlich im Blick haben. Und eigentlich hört es da noch nicht mal auf: Was ist mit Kommunikation? Was mit Marketing? Und war da nicht noch etwas mit der DSGVO

Operative und strategische Aufgaben sind gleichermaßen wichtig und es wird aufgrund der zunehmenden Komplexität immer schwieriger, diese klar einer HR-Säule zuzuordnen. Daher benötigt HR eine Flexibilisierung dahingehend, wie Zusammenarbeit und Prozesse gesteuert werden. Und eine echte integrative Beteiligung aller HR-Bereiche. 

Gelingt dieses auf Gleichberechtigung basierende Selbstverständnis innerhalb des Personalbereichs, finden sich in 2023 vielleicht auch wieder Abrechner oder Menschen, die sich zu solchen ausbilden lassen möchten, weil sie sich eben nicht mehr als Personaler 2. Klasse fühlen.

Fazit

In 2023 ist HR gefragt, sich selbst und das Unternehmen erfolgreich durch weitere Krisen zu führen. An allen Ecken und Enden ist Kreativität gefragt: Sei es, um mit Alternativangeboten monetäre Erwartungen seitens der Belegschaft abzufedern oder um mit agilen Aufgabenverteilungen und kleinen Lerneinheiten Kompetenzaufbau und Innovation zu fördern und so knappen Weiterbildungsbudgets und Einstellungsstopps zu trotzen. 

Auch wird es darum gehen, Resilienz im Unternehmen zu stärken und einem offeneren Umgang mit Emotionen den Weg zu bahnen. 

Fast nebenbei wird sich die Personalabteilung um eine systematische Arbeitszeiterfassung kümmern und zu guter Letzt ihren Blick nach innen richten dürfen. Mit dem Ziel, sich selbst, die eigenen Prozesse und Strukturen zu hinterfragen und ein neues Selbstverständnis zu entwickeln.  

HR 2023 – weit weg von langweilig!

E-Book: Talent Management – Teil 1 - Die richtige Führungskultur