Mit Bleistift gezeichnete Glühbirne

Die Suche nach dem Purpose: Was 30 Jobs in einem Jahr gelehrt haben

Ein authentisches Interview über Selbsterfahrung, Mut und die große Sinnfrage. Mit praktischen Tipps für Arbeitgeber

Jannike Stöhr_Picture_Empleox

Jannike Stöhr stieg als Personalerin bei VW aus, um ihren Traumjob zu suchen. Innerhalb eines Jahres testete sie 30 Jobs und fand dabei heraus, wie man berufliche Zufriedenheit erlangen kann. Heute arbeitet sie als Coach für erfüllte Karrieren. www.jannikestoehr.com

1 Jahr - 30 Jobs

Jannike, Du hast zwei Bücher geschrieben – eins davon berichtet über Dein Jahr als Jobtesterin von 30 Jobs. Wie ist diese Idee entstanden?

Jannike: Inspiriert hat mich das Buch „Wie man die richtige Arbeit für sich findet“ der School of Life. Darin wird über eine Belgierin geschrieben, die Jobs testet, um ihre Berufung zu finden. In ihrer Idee, sich erst in einen Job einzufühlen, bevor man ihn annimmt, habe ich mich total wiedergefunden. Ich war selbst immer nur auf der kognitiven Ebene unterwegs. Und dadurch nur kurze Zeit nach einer Veränderung wieder unzufrieden und enttäuscht – egal, ob ich im Personalbereich gearbeitet habe, im Ausland war oder eine Gehaltserhöhung bekam.

Von der Idee zur Umsetzung

Wie hast Du die Idee dann umgesetzt?

Jannike: Ich habe zunächst eine Liste mit Jobs erstellt, die mich interessieren. Ich wollte so viele wie möglich ausprobieren und trotzdem einen guten, vergleichbaren Eindruck bekommen. Daher habe ich entschieden, jeden Job eine Woche lang zu testen. Dann habe ich die Reisen und Unterkünfte organisiert, in Deutschland, Österreich und Belgien. Die Stellen selbst habe ich über Vitamin B bekommen. Dabei habe ich mich auf kleine Unternehmen und Selbstständige fokussiert – da laufen Bewerbung und Onboarding einfach viel schneller. Und das ist direkt der erste Tipp: das eigene Netzwerk als Türöffner zu nutzen.

Ich habe versucht, viele Eindrücke über Gespräche und Beobachtungen zu bekommen. Montags habe ich das Team kennengelernt und mir einen Überblick verschafft: Wo bin ich hier, was machen die Leute und warum machen sie das? Dienstags bis donnerstags konnte ich dann inhaltlich tiefer einsteigen; und ich habe einen Blogartikel über meine Erfahrungen geschrieben. Den habe ich dann freitags mit dem Team abgeglichen, um sicherzustellen, dass ich alles richtig verstanden habe, und um meinen Leser*innen ein authentisches Bild zu vermitteln.

Prägende Erlebnisse

Welcher Job ist Dir besonders in Erinnerung geblieben und warum?

Jannike: Ehrlich gesagt, ist mir jeder Job in Erinnerung geblieben, weil ich überall auf Menschen mit viel Leidenschaft für ihre Aufgaben getroffen bin. Besonders prägend war allerdings der Job in der Pathologie. Denn das war der Moment, in dem ich mich von alten Glaubenssätzen und Barrieren befreit habe. Ich war am Anfang so darauf aus, meinen Traumjob zu finden, dass ich mir die Freude am Neuen genommen habe. In der Pathologie habe ich mich zum ersten Mal voll auf mein Experiment eingelassen. Bei einer Obduktion dabei zu sein, war nicht nur eine echte Mutprobe, sondern hat viele Themen angestoßen: die Endlichkeit des Lebens beispielsweise. So nah, wie ich dort dem Tod war, war ich beim letzten Job dann auch dem Leben: als Hebamme bei einer Geburt.

Gesucht und Gefunden?

Hast Du Deinen Traumjob gefunden?

Jannike: Nein, habe ich tatsächlich nicht. Das Interessante dabei: Genau das war zu Beginn meine größte Angst. Wenn ich den Traumjob nicht finde, muss ich mich eben mit dem abfinden, was ist. Letztendlich war es aber gut, wie es gekommen ist. Denn mittlerweile glaube ich, dass es viele Dinge gibt, die uns erfüllen können. Nämlich dann, wenn ich meine natürlichen Stärken einsetzen kann, wenn mir etwas Freude bereitet und Energie gibt, wenn Unternehmenswerte meinen eigenen entsprechen, wenn etwas einen höheren Sinn hat.

Die eigentliche Erkenntnis kam später

Wie ging es nach diesem Jahr für dich weiter?

Jannike: Ich habe erst einmal mein Buch geschrieben und bin später als Assistentin eines Abgeordneten im Umweltausschuss ins EU-Parlament nach Brüssel zurückgekehrt. Eine spannende Zeit, aber sehr anstrengend – und nicht die Antwort auf meine Fragen. Vielversprechender war das, was sich parallel entwickelt hat. Über meinen Blog und Freunde wurde ich immer wieder gefragt, ob ich Bewerbungen durchlesen, Jobinterviews vorbereiten oder Berufsberatungen geben kann. Und irgendwann kam dann die Erkenntnis: Ich möchte das ausüben, was ich leidenschaftlich gerne in meiner Freizeit mache. Also habe ich mich kurzfristig selbstständig gemacht, bin nach Berlin gezogen und Jobcoach geworden. Inzwischen haben sich Jobtitel und Aufgaben sehr weiterentwickelt und ich gehe das Thema mit Kund*innen viel strukturierter und reflektierter an als bei mir selbst damals.

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Stärken erkennen – was Arbeitgeber tun können

Wechseln wir die Perspektive hin zu Unternehmen: Was können diese tun, um die Stärken ihrer Mitarbeiter*innen herauszufiltern?

Jannike: Ich empfehle immer, dass Mitarbeitende ein „Flowtagebuch“ schreiben. Damit können sie dokumentieren, bei welchen Tätigkeiten und Terminen sie Freude empfinden, woraus sie Energie ziehen und was sie belastet. Diese Selbstbeobachtung im Arbeitsalltag kann von Führungskräften gefördert werden. Oft stellt sich dabei heraus, dass die Zufriedenheit schon dann steigt, wenn einzelne Aufgaben oder Rollen im Team getauscht werden.

Orientierungstage für Einsteiger*innen oder Hospitanzen in anderen Fachabteilungen eignen sich auch, um die richtigen Leute in die passende Stelle zu bekommen. Google geht da mit gutem Beispiel voran: Sie geben Mitarbeitenden die Möglichkeit, 20 Prozent ihrer Arbeitszeit in Projekte zu investieren, die zwar im Unternehmenskontext stehen, aber frei gestaltbar sind. Bei VW gibt es wiederum E-Learning-Plattformen, um sich während der Arbeitszeit in ausgewählten Themen betrieblich weiterzubilden.

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Das klingt nach der Idee von New Work..

Jannike: ..Genau, im Kern geht es darum, sich selbst besser kennenzulernen und zu reflektieren. Damit ich morgens einen guten Grund habe, aufzustehen. Da geht es weniger um flexible Arbeitsmodelle oder Tischkicker als um intrinsische Motivation. Darauf müssen Unternehmen eingehen.

Wechselwilligkeit steigt rasant

Trotz entsprechender Bemühungen von Unternehmen gibt es aktuell viele Wechselwillige. Woran liegt das Deiner Meinung nach?

Jannike: Ich denke, dass viele Menschen nach Sinn suchen, durch die Krisen in der Welt vielleicht mehr denn je. Fragen, wofür man etwas tut und wem das nützlich ist, werden immer dringlicher. Selbst wenn Arbeitgeber neue Rollen und Aufgaben schaffen, kommen Mitarbeitende am Ende häufig zu der Erkenntnis, dass das Unternehmen selbst nicht passt. Unternehmen müssen also das „Warum“, ihren Zweck, stärker beantworten und eine starke Unternehmenskultur haben bzw. entwickeln. Damit bieten sie Halt, auch dann, wenn sich die Welt immer schneller verändert und unsicherer wird.

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Storytelling ist gefragt

Wie schaffen es Unternehmen, die Sinnfrage zu beantworten?

Jannike: Jedes Unternehmen hat eine Geschichte zu erzählen, welche, das gilt es herauszufinden. Die Herangehensweise kann ganz unterschiedlich sein: von der Geschäftsführung aus oder gemeinsam mit den Beschäftigten. Hauptsache, der Prozess ist transparent. Ob alle Mitarbeitenden die Vision letztendlich teilen, ist damit natürlich nicht garantiert. Dafür haben diejenigen, die im Unternehmen bleiben, eine besonders große Sogwirkung – auch auf Neueinstellungen.

Fazit

Welchen Tipp an Personaler*innen hast Du noch?

Jannike: Ich habe meinen Job früher als Personalerin, glaube ich, ziemlich gut gemacht – trotzdem würde ich heute anders an ihn herangehen: Ich würde mir die Frage, was mir wirklich wichtig ist und warum ich den Job mache, viel stärker stellen. Dadurch setze ich mich nicht nur theoretisch für meine Mitarbeitenden damit auseinander, sondern auch für mich persönlich. Wenn ich selbst Erfüllung in meinem Job erlebe, kann ich andere viel besser darin unterstützen.

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