Augenpartie verschiedener Menschen übereinander in unterschiedlichen Farben

Diversity Recruiting - so sorgen Sie für eine diverse Belegschaft

Man muss Diversität nicht als ultimativen Heilsbringer betrachten. Erst recht nicht als Quotenziel. Aber gesunde Vielfalt kann Unternehmen stärker machen.

Diversity matters – auf jeden Fall, wenn es nach den Top-30-Investoren am deutschen Markt geht. Das zeigt eine Studie der Initiative Investors4Diversity aus dem Januar 2023: Zwischen 2020 und 2022 stieg der Anteil der institutionellen Anleger, die Diversitätsanforderungen in ihren Richtlinien verankert haben, um 23 Prozentpunkte – von 50 % auf 73 %. Solche Anforderungen zu erfüllen, dürfte vielen Unternehmen in Deutschland allerdings nach wie vor schwerfallen. Beispielsweise war 2022 bei 43 % der DAX- und MDAX-Unternehmen der Vorstand noch ausschließlich mit Männern besetzt. 75 % der Vorstandsmitglieder stammten aus dem DACH-Raum – nur 3 % kamen nicht aus Europa oder Nordamerika. Und auch hinsichtlich der Merkmale Alter und Ausbildung herrschte wenig Vielfalt.

Diese Situation ist bemerkenswert, weil eine diverse Belegschaft dem eigenen Interesse nutzt. Zum einen bei der Versorgung mit Geld am Kapitalmarkt. Zum anderen, weil sich Diversität mit hoher Wahrscheinlichkeit positiv auf die Performance von Unternehmen auswirkt. Eine Reihe von Studien legen diesen Zusammenhang nahe – auch wenn eindeutige Belege bislang fehlen. Dass unterschiedliche Perspektiven vor allem in einer globalen Wirtschaft mit sehr heterogenen Zielgruppen bei Kundinnen und Kunden sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Vorteil sind, ist auf jeden Fall ein naheliegender Schluss. Zumindest dann, wenn Diversität nicht nur als reines Quotenziel oder dergleichen verfolgt wird und darüber hinaus zur jeweiligen Unternehmenskultur  passt sowie ein harmonisches Verhältnis der Menschen zueinander berücksichtigt. Abgesehen von all dem geht es bei Diversität natürlich auch um Ethik: Eine diverse Belegschaft ist Ausdruck davon, dass ein Unternehmen nicht diskriminiert. Und das wiederum ist im Rahmen des Employer Branding ein wichtiges Signal.

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Personalabteilungen als Diversity-Pacemaker

Wenn sich Unternehmen aktiv für Diversität entscheiden, kommt den Personalabteilungen bei der Realisierung eine zentrale Rolle zu. Sie haben es in der Hand, mit Diversity Recruiting die Voraussetzungen für eine Belegschaft zu schaffen, die aus Menschen mit vielfältigen Merkmalen besteht – in Bezug auf Geschlecht und ethnische Herkunft, Alter und sexuelle Identität, Religion bzw. Weltanschauung und das Vorliegen einer Behinderung. Dabei ist Diversity Recruiting – auch als Diversity Hiring bezeichnet – eine Strategie, die darauf abzielt, Menschen mit unterschiedlichen persönlichen Merkmalen anzusprechen, für das eigene Unternehmen zu begeistern und bei einer passenden Qualifikation einzustellen. KIingt ziemlich selbstverständlich, ist es aber nicht.

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Bewusstsein für eine systemische Voreingenommenheit schaffen

Kaum jemand würde von sich behaupten, Menschen absichtsvoll zu diskriminieren – also aufgrund ihrer persönlichen Merkmale nachteilhaft zu behandeln. Doch auch wenn nur in Ausnahmen eine Absicht vorliegt, finden solche Diskriminierungen andauernd in allen möglichen Situationen und in allen möglichen Formen statt. Der Grund ist eine systemische Voreingenommenheit, der sich nur die wenigsten bewusst sind. Und deshalb besteht der erste Schritt zu mehr Diversität darin, sich dieser Voreingenommenheit bewusst zu werden.

Den grundlegenden Wandel der Sicht auf die Welt zu operationalisieren, ist nicht ganz leicht. Erforderlich sind dafür Achtsamkeit, um das eigene Verhalten zu hinterfragen, und Empathie, um sich in die Lage anderer hineinzuversetzen. Beide Eigenschaften lassen sich nur durch dauerhafte Praxis erwerben. HR-Abteilungen können dazu beitragen, einen solchen Veränderungsprozess bei allen im Unternehmen Beschäftigten anzustoßen. Dazu gehören:

  • Das Unternehmen nimmt Diversität und außerdem Gleichberechtigung und Inklusion (für diesen Dreiklang hat sich die Abkürzung DEI etabliert: Diversity, Equity, Inclusion etabliert) explizit in seinen Wertekanon auf.
  • Das Unternehmen formuliert konkrete DEI-Ziele und unterlegt diese mit Kennzahlen.
  • Das Unternehmen etabliert ein DEI-Gremium, das die DEI-Entwicklung steuert.
  • Das Management bekennt sich ausdrücklich zu diesen Werten und bemüht sich, das eigene Handeln danach auszurichten.
  • Über die einzelnen Hierarchiestufen wird die Good Governance kaskadiert, indem Führungskräfte sich aktiv für Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion einsetzen sowie unsensibles Verhalten bemerken und ansprechen.

All das verlangt zunächst einen durch die HR-Abteilung moderierten Austausch, an dem neben der Geschäftsführung und dem C-Level-Management auch Vertreterinnen und Vertreter von Minderheiten innerhalb des Unternehmens beteiligt sind. Für die Konkretisierung eignen sich Trainings. Diese sollten nicht nur grundsätzlich sensibilisieren, sondern zu einem echten Verständnis für die individuell nuancierten Herausforderungen von Menschen führen, deren persönliche Merkmale vom Durchschnitt abweichen. Erreichen lässt sich das etwa durch das Teilen persönlicher Erfahrungen, interaktive Diskussionen sowie die Darstellung von Szenen, in denen mikroaggressive Situationen simuliert werden.

Diversity Recruiting zielt auf Reduktion der Voreingenommenheit

Ohne einen Bewusstseinswandel bei den handelnden Personen werden sich Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion nicht verwirklichen lassen. Genügen wird das aber nicht, zumindest nicht auf absehbare Zeit. Deshalb sollten zusätzlich Methoden implementiert werden, die ein diskriminierungsfreies Handeln über Regeln sicherstellen. Zwei Bereiche sind dabei besonders relevant: die Ausschreibung von Jobs und das Auswahlverfahren.

1. Inklusive Stellenausschreibungen

Ob gegendert werden soll oder nicht, ist derzeit in Deutschland ein sehr kontrovers diskutiertes Thema. Wie auch immer die persönliche Meinung dazu ausfällt – sicher ist, dass Sprache eine erhebliche Wirkung auf Menschen hat. Daher sollte die Formulierung jeder Stellenausschreibung unbedingt mit Bedacht erfolgen. Die Entscheidung für die Verwendung verschiedener Geschlechtsbezeichnungen oder dagegen ist in diesem Zusammenhang nur der offensichtlichste Aspekt. Worauf es eigentlich ankommt, ist viel subtiler. Beispielsweise transportieren achtlos gewählte Begriffe wie Rockstar oder dominant vorrangig männliche Eigenschaften. Wenn sich dann auch nur Männer angesprochen fühlen, ist das kein Wunder.

Dem konsequent entgegenzuwirken, ist eigentlich ganz leicht: HR-Verantwortliche sollten in Stellenausschreibungen ausschließlich auf die Fähigkeiten Bezug nehmen, die für einen Job erforderlich sind und nicht auf die Eigenschaften der Kandidatinnen und Kandidaten. Ergänzend zu dieser Formulierungsrichtlinie lohnt es sich, wenn ein divers besetztes Gremium die HR-Verantwortlichen unterstützt und Feedback zu einzelnen Stellenausschreibungen gibt. Im Laufe der Zeit führt das zu einer größeren Selbstverständlichkeit bei der Verwendung inklusiver Sprache. Sinnvoll kann auch sein, bei den Benefits ausdrücklich auch die Leistungen aufzuzeigen, die Diskriminierung einhegen. Dazu zählen unter anderem Zuschüsse zur Kinderbetreuung oder kostenloser Sprachunterricht.

Neben der verwendeten Sprache ist auch relevant, wo Stellenausschreibungen verbreitet werden. Oft wird die Auswahl der Kanäle durch das eigene Nutzungsverhalten bzw. das Nutzungsverhalten der Menschen aus dem direkten Umfeld bestimmt. Es sind aber eben nicht alle bei LinkedIn aktiv. Insofern lohnt es sich, für die verschiedenen Gruppen von Menschen auch verschiedene Kanäle zu definieren. Dabei kann sich die Zusammenarbeit mit Organisationen, die die Interessen der einzelnen Gruppen vertreten, als sehr wertvoller Schritt erweisen.

2. Lebensläufe unvoreingenommen prüfen

Lebensläufe zu sichten, ist ein entscheidender Teil des Recruitings. Gerade deshalb ist es problematisch, wenn die Sichtung der Unterlagen unbewusst voreingenommen erfolgt. Und das passiert schnell, wenn die an der Auswahl beteiligten Menschen die persönlichen Merkmale der Kandidatinnen kennen – allein der Name gibt Aussage über Geschlecht und ethnische Herkunft. Werden Lebensläufe dagegen ohne Kenntnis der persönlichen Daten gesichtet, rückt das die objektiven Fähigkeiten und Erfahrungen in den Mittelpunkt; subjektive Annahmen zu den Eigenschaften einer Person werden deutlich minimiert. Zu einer faktenorientierten Beurteilung trägt zusätzlich bei, wenn divers besetzte Teams solche sog. blinden Prüfungen durchführen.

Für die Implementierung eines fairen Auswahlverfahrens können sich HR-Verantwortliche an diesen Punkten orientieren:

  • Erlauben Sie den Bewerberinnen und Bewerbern, ihre Lebensläufe ohne die Angabe persönlicher Merkmale einzureichen.
  • Bitten Sie alle Kandidatinnen und Kandidaten um die gleichen Unterlagen.
  • Erfassen Sie nur stellenbezogen relevante Daten und vermeiden Sie Fragen zu Alter, Religion, ethnischem Hintergrund usw.

3. Standardisierte, teil-anonyme Vorstellungsgespräche

Natürlich muss man sich irgendwann kennenlernen, und spätestens hier werden Merkmale, die zuvor im Lebenslauf bewusst ausgeblendet wurden, sichtbar. Doch das heißt nicht, dass dies gleich im ersten Gespräch passieren muss. Es kann die Qualität der Auswahl, auch unabhängig vom Diversitätsaspekt, erhöhen, wenn sich zunächst auf rein Fachliches fokussiert wird, indem Sie beispielsweise wie folgt vorgehen:
  • Führen Sie Remote-Interviews ohne Video durch und konzentrieren Sie sich dabei auf die Fähigkeiten und Erfahrungen der Kandidatin oder des Kandidaten.
  • Verwenden Sie für alle Bewerberinnen und Bewerber den gleichen strukturierten Interviewleitfaden.
  • Weisen Sie den Kandidatinnen und Kandidaten anonyme Codes zu, die nur der Personalabteilung bekannt sind – so wird sichergestellt, dass die Interviewerinnen und Interviewer die Identität nicht kennen.
  • Führen Sie persönliche Vorstellungsgespräche erst in der letzten Runde – nachdem Sie die Kompetenzen objektiv geprüft haben. Konnten Kandidaten schon einmal inhaltlich überzeugen, treten Vorurteile und Stereotypen eher in den Hintergrund. 
  • Stellen Sie sicher, dass die finale Entscheidung auf den für den jeweiligen Job relevanten Fähigkeiten und Erfahrungen beruht, nicht auf persönlichen Eigenschaften, Sympathie oder dergleichen. Dies zu trennen, ist oft eine Herausforderung, denn gleichzeitig ist der persönliche Fit im Team und der zur Unternehmenskultur weiterhin wichtig, darf aber nicht als Ausrede genutzt werden.

4. Kontinuierliche Verbesserungsmaßnahmen

Wichtig ist auch, dauerhaft dranzubleiben. Die eigene Kultur Stück für Stück hin zu mehr Sensibilität, Objektivität und weniger Voreingenommenheit zu entwickeln:
  • Schulen Sie Interviewerinnen und Interviewer sowie Personalverantwortliche darin, implizite Vorurteile zu erkennen und zu vermeiden.
  • Überprüfen Sie die Einstellungsergebnisse regelmäßig, um sicherzustellen, dass keine Gruppen aufgrund von Voreingenommenheit unterrepräsentiert sind. Nehmen Sie bei Bedarf Anpassungen vor.
  • Ziehen Sie in Erwägung, anonyme Rückmeldungen von Kandidatinnen und Kandidaten sowie Mitarbeitenden einzuholen, um etwaige Probleme zu erkennen.

Dauerhaftes Engagement für dauerhaften Erfolg

Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion lassen sich nicht mit singulären Aktivitäten erreichen – erforderlich sind eine echte Überzeugung und ein dauerhaftes Engagement. Wenn sich HR-Abteilungen zur Aufgabe machen, den Aufbruch zu mehr Vielfalt zu initiieren, sollten sie daher unbedingt auch regelmäßige Impulse einplanen. Dazu gehören natürlich Trainings in allen denkbaren Varianten. Sinnvoll können aber auch Berichte des DEI-Rats zur Entwicklung im Unternehmen oder ein deutliches Commitment nach außen sein – beispielsweise die Unterzeichnung der Charta der Vielfalt. Idealerweise werden Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion so mit der Zeit zum selbstverständlichen Teil der Kultur eines Unternehmens. Diversität herzustellen, verlangt dann immer weniger Aufmerksamkeit. Diversity Recruiting wird als explizite Strategie irgendwann obsolet.

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